Gladbeck/Essen. . Verfolgt fühlte sich der 19-jährige Gladbecker, der seinen jüngeren Bruder im Mai getötet hat, schon Monate vor der Tat. Eine Sekte wolle ihn zu ihrem Anführer machen, glaubte er. Beim Prozess in Essen soll eine Sachverständige Einblicke in die Psyche des Mannes geben, der sich wegen Mord verantworten muss.
Seinen Bruder hat er erstochen, hinterrücks. Das gibt der 19 Jahre alte Gladbecker am Montag vor der Essener Jugendstrafkammer zu. Mord aus Heimtücke wirft die Staatsanwaltschaft ihm vor, aber dafür soll er nicht ins Gefängnis, sondern in die geschlossene Psychiatrie.
Von einer paranoiden Schizophrenie spricht die Sachverständige Maren Losch. Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen stuft ihn deshalb als schuldunfähig ein, will ihn aber in der Psychiatrie unterbringen, weil er ohne Behandlung gefährlich für die Allgemeinheit sei.
Verfolgt fühlte der Beschuldigte sich schon Monate vor der Tat, witterte Wanzen in seinem Zimmer. Eine Sekte wolle ihn zu ihrem Anführer machen, glaubte er. Aber mit dieser Aufgabe fühlte er sich überfordert. Kurz vor der Tat sah er sich auch innerhalb der Familie verfolgt.
In den Wochen vor der Tat nahm er seine Medikamente nicht mehr
Erste Anzeichen seiner Erkrankung tauchten wohl auf, als er 15 Jahre alt war. Im vergangenen Jahr brachten seine Eltern ihn dazu, einen Arzt aufzusuchen. Therapiert wurde er, doch in den letzten Wochen vor der Tat nahm er seine Medikamente nicht mehr, spuckte die Tabletten aus.
Die Eltern, die als Zeugen die Aussage verweigern, nehmen am Strafverfahren gegen ihren Sohn als Nebenkläger teil. Ihr Anwalt Thorsten Rühl stellt klar, dass sie sich nicht als Gegner des Beschuldigten verstehen, sondern vor allem das Verfahren verfolgen wollen. In einer schrecklichen Situation sind sie als Vater und Mutter des Opfers - und des Täters. Beide Söhne hat ihnen der 26. Mai genommen. Der 17 Jahre alte Jan ist tot, der damals 18-jährige Stefan seitdem in der Psychiatrie untergebracht.
Es war ein Sonntag. Nichts deutete in der Zweckeler Zechenhaussiedlung mittags beim Essen auf diesen bevorstehenden Ausbruch der Gewalt hin. Die Eltern gingen in den Garten, nachmittags wollten alle gemeinsam zum verkaufsoffenen Sonntag nach Altenessen fahren. Die Söhne blieben im Wohnzimmer. Streit muss es gegeben haben zwischen den Brüdern, behauptet die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft. Stefan habe aus der Spüle ein Messer mit 15 Zentimeter langer Klinge geholt. Von hinten näherte er sich dem Bruder, stach ihm einmal in den Hals.
Über seinen Verteidiger Hans Reinhard gesteht er am Montag die Tat
Er rennt heraus, vorbei an den aufgeschreckten Eltern. Erst Stunden später kehrt er zurück, wird gegen 18 Uhr im Elternhaus von der Polizei festgenommen.
Über seinen Verteidiger Hans Reinhard gesteht er am Montag die Tat. Auf Fragen werde der Mandant antworten, sagt Reinhard, aber es werde nicht einfach sein, mit ihm zu reden: „Denn er ist schwer krank.“ Am Tattag habe der Verfolgungswahn seines Mandanten sich drastisch gesteigert: „Er hatte Angst, dass sein Bruder plant, die Eltern umzubringen. Das wollte er verhindern.“ Reinhard spricht von einer „affektiven Entladung“, in der sein Mandant zugestochen habe.
Richter Günter Busold fragt den Beschuldigten, und dieser antwortet besser, als es zu ahnen war. Seit Jahren hatte er seine sozialen Kontakte abgebaut, keinen eigenen Freundeskreis mehr gehabt. Nach dem Hauptschulabschluss fing er eine Lehre als Maler und Lackierer an, brach sie nach drei Monaten ab. Seitdem unternahm er nichts mehr. Kontakte gab es nur zu Freunden seines Bruders.
Dem Haschisch gibt er die Schuld
Wie das Verhältnis zum Bruder gewesen sei, will der Richter wissen. „Gut“, antwortet der Beschuldigte, „wir haben uns gut verstanden. Es tut mir auch verdammt leid“. Früher hatte er von einem schlechten Verhältnis gesprochen. Warum? „Das möchte ich nicht so genau sagen.“ Jan hätte aber mal davon gesprochen, die Eltern umzubringen. Er, Stefan, habe ihn gewarnt: „Lass das!“
Dem Haschisch gibt er die Schuld. Ende 2011 habe er sich das Rauchen selbst abgewöhnt, Anfang 2013 aber wieder damit angefangen. „Ich bin mir sicher“, sagt er, „ohne das Kiffen wäre es nicht passiert“. Der Prozess wird am 14. und 21. November fortgesetzt.