Gladbeck. . Willi Dreißig hat vor drei Jahren sein letztes Auto verschenkt – Knall auf Fall. Da war er 92 und kurz zuvor mit dem Wagen noch im Urlaub. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt hat er sich entschieden: “Jetzt ist Schluss mit dem Autofahren.“ Vom Führerschein kann er sich aber noch nicht trennen.

In Menden rast ein 79-Jähriger mit seinem Auto in einen Schützenumzug. Drei Menschen kommen ums Leben. In Wuppertal verliert eine 80-Jährige die Kontrolle über ihren Wagen, gerät damit auf den Bürgersteig und verletzt elf Menschen. Nach solch spektakulären Unfällen kocht regelmäßig eine leidenschaftliche Debatte über Senioren am Steuer hoch. Sollten sie ihre Fahrtüchtigkeit regelmäßig überprüfen lassen? Sollten solche Tests verpflichtend oder freiwillig sein?

Für Willi Dreißig hat sich diese Frage nie gestellt. Er hat vor drei Jahren sein letztes Auto verschenkt – Knall auf Fall. Da war er 92 und kurz zuvor noch mit dem Wagen in der Lausitz. „Nach einer Operation und längerem Krankenhausaufenthalt habe ich auf dem Weg zur Innenstadt bemerkt, wie sehr ich mich konzentrieren musste. Da habe ich mir gesagt: Jetzt ist Schluss mit dem Autofahren.“

Man sollte als Senior Verantwortungsgefühl haben

Den Führerschein, diesen alten grauen Lappen aus den 1950er Jahren, besitzt er noch. Für alle Fälle, sagt er: „Ich bin noch ganz klar im Kopf, und wenn ich mal mit anderen Leuten unterwegs bin und dem Fahrer passiert was, könnte ich ganz bestimmt sicher und unfallfrei bis zur nächsten Ausfahrt weiter fahren.“

Sein Auto abzugeben, ist ihm schwer gefallen: „Ich vermisse es heute noch, aber man muss so viel Verantwortungsgefühl haben, dass man sich freiwillig davon trennt, wenn man merkt, dass man sich und Andere gefährden könnte.“

Findet auch Maly Weber, seine Nachbarin aus dem Nebenhaus an der Tunnelstraße. Diabetes hat die Sehkraft der 77-Jährigen so stark vermindert, dass die sich vor drei Jahren schweren Herzens entschloss, ihren Wagen abzugeben.

Früherschein abgegeben - danach eine Woche geweint

„Danach habe ich eine Woche geweint. Mein Auto war meine Freiheit.“ Den Führerschein hat sie erst als 55-Jährige gemacht. Gefahren ist sie – spätes Geständnis – schon als junge Frau hin und wieder: „Ein paar Mal von Remagen nach Bonn zum Großmarkt. Für meinen Chef – der hatte auch keinen Führerschein.“

Nur in einen Unfall war Maly Weber verwickelt – aber der hatte es in sich. Auf der Autobahn wurde ihr Kleinwagen von einem ausscherenden LKW touchiert, drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse und kam entgegen der Fahrtrichtung zum Stehen. „Ich hab’ probiert, ob das Auto wieder anspringt und bin dann an der Leitplanke entlang weiter gefahren – 20 Kilometer in die falsche Richtung“, erinnert sie sich. Dass der Geisterfahrer, vor dem da ständig im Radio gewarnt wurde, irgendetwas mit ihr zu tun haben könnte, sei ihr nicht in den Sinn gekommen.

Ein Busfahrer, der sein Gefährt quer über die Fahrbahnen stellte und so den Verkehr anhielt, ermöglichte Maly Weber schließlich zu wenden. Wie böse ihre Geisterfahrt hätte endet können, wurde ihr erst Stunden später bewusst. „Solch ein Aussetzer ist keine Altersfrage“, sagt sie mit Blick auf die Diskussion über Senioren am Steuer.„Ich stand unter Schock, und das kann jedem passieren.“

Das Auto wird nicht vermisst

Die Dritte im Bunde der Nachbarschaft an der Tunnelstraße, die nicht mehr mit dem Auto fährt, ist die 85-jährige Elli Warias. Sie hat den Wagen vor fünf Jahren abgeschafft. Auch bei ihr war die schwindende Sehkraft der Grund: „Abends war es ganz besonders schlimm. Wenn mir ein Auto entgegen kam, habe ich Sterne gesehen, so heftig, das ich oft anhalten musste. Und als es dann auch mit dem Einparken nicht mehr so richtig klappt, wusste ich, dass es nicht mehr geht.“ Bevor sie seinerzeit eine Flugreise unternahm, „lieh“ sie ihr Auto der Tochter und bestellte sich ein Bärenticket der Vestischen. „Bei meiner Rückkehr war das Ticket da, und ich habe meiner Tochter gesagt, dass sie mein Auto behalten kann. Das war’s.“

Im Gegensatz zu den beiden anderen Senioren vermisst sie ihr Auto nicht sonderlich. Sie verspürt eher so etwas wie Erleichterung, dass nichts passiert ist: „Wenn ich jemanden angefahren hätte, wäre ich meines Lebens nicht mehr froh geworden.“

Von verpflichtenden Tests für Senioren am Steuer halten die drei älteren Herrschaften nichts: „Man spürt selber, wann man nicht mehr mit dem Auto fahren sollte, und dann muss man so verantwortungsbewusst sein, es zu lassen.“ So wie sie es – schweren Herzens – getan haben.