Gladbeck. Beeindruckende Vorher-Nachher Bilder im Internet haben sogenannten „Abnehm-Spritzen“ zum Boom verholfen. Ein Gladbecker Arzt warnt vor Risiken.
- Besonders in sozialen Medien liegen sie derzeit voll im Trend: Sogenannte „Abnehm-Spritzen“ sollen schnell dabei helfen, Gewicht zu verlieren.
- Eigentlich handelt es sich bei den Wirkstoffen in den Spritzen um ein Medikament, welches Diabetiker schon seit vielen Jahren nutzen, um ihren Blutzuckerspiegel zu regulieren.
- Ein Arzt aus Gladbeck nennt die Spritzen ein „Wundermittel“ für Diabetiker und nennt zudem einige Vorteile im Kampf gegen Übergewicht.
- Allerdings spricht er auch über mehrere Nachteile, die nicht unterschätzt werden sollten.
Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Eine Spritze soll übergewichtigen Menschen höchst wirksam beim Abnehmen helfen, verblüffende Vorher-Nachher-Bilder kursieren in den sozialen Medien und verstärken den Eindruck, dass Abnehmspritzen das neue Wundermittel schlechthin sind. Klingt nicht nur zu schön, um wahr zu sein, ist es auch – ein Gladbecker Arzt erklärt die Haken, die das Medikament mit sich bringt, welches eigentlich Diabetikern helfen soll.
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Seit Ende Juli können Ärzte in Deutschland die Abnehm-Spritze „Wegovy“ mit dem Appetithemmer-Wirkstoff Semaglutid an Menschen mit starkem Übergewicht verschreiben. Spritzen dieser Art gibt es allerdings schon weit länger, seit 2007 sind sie für Diabetiker in Deutschland zugelassen. Der „Spritzen-Boom“ ist allerdings neu – befeuert durch erstaunliche Vorher-Nachher-Bilder in den sozialen Medien, die deutliche Abnehmerfolge zeigen.
Abnehmspritzen: Für Diabetiker Gold wert, für adipöse Menschen nur bedingt zu empfehlen
Für Diabetiker seien die Spritzen tatsächlich „ein Segen und Gold wert“, da sie den Blutzuckerspiegel regulieren, erzählt Internist und Gastroenterologe Dr. Peter Rüb, der am St. Barbara-Hospital in Gladbeck täglich Diabetiker berät. Dafür müssen sich die Patienten einmal die Woche eine Spritze in das Unterhautfettgewebe von Oberarm, Bauch oder Oberschenkel spritzen. Die in der Spritze enthaltenen Darmhormone, sogenannte „Inkretine“, senken dann den Blutzuckerspiegel.
Zudem helfe das Medikament tatsächlich „höchst effektiv“ beim Abnehmen, bis zu 20 Prozent des Körpergewichts könnten übergewichtige Menschen innerhalb eines Jahres verlieren. Doch wieso helfen diese Spritzen überhaupt beim Abnehmen? Einfach erklärt verzögern die Wirkstoffe des Medikaments laut Rüb die Magenentleerung – das Essen bleibt folglich länger im Magen, bevor es verdaut wird. Gleichzeitig fühle sich der Patient länger gesättigt und esse dadurch weniger, ohne ein Hungergefühl unterdrücken zu müssen.
Dennoch gibt es gleich mehrere Probleme, vor denen der Gladbecker Arzt warnt. Einer der wichtigsten Punkte, die gegen die Spritzen zum Abnehmen sprechen: „Sobald das Medikament abgesetzt wird, nehmen die Patienten wieder an Gewicht zu, wenn sie nichts an ihrer Ernährung und ihrer Lebensweise ändern.“ Aus diesem Grund sei das Medikament allein keine Dauerlösung zum Abnehmen – zumal die Spritzen nicht von den Krankenkassen bezahlt werden und in Deutschland derzeit über 300 Euro im Monat kosten.
Gladbecker Arzt kritisiert verfälschende Vorher-Nachher-Bilder in sozialen Medien
Zudem hält Dr. Rüb das vermittelte Bild in den sozialen Medien für gefährlich. Sie vermittelten, dass es sich bei den Spritzen um ein Wundermittel ohne Nebenwirkungen handele. Der Arzt erklärt: „Fast alle Diabetiker, mit denen ich zu tun habe, klagen zu Beginn der Therapie über eine starke Übelkeit. Bei der Abnehm-Spritze kann diese Nebenwirkung noch schlimmer ausfallen, da die Dosierung des Medikaments höher ist als bei der Behandlung von Diabetikern.“ Zudem könne das Medikament Schilddrüsenkrebs fördern und zu schlimmen Entzündungen der Bauchspeicheldrüse führen.
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Was den Mediziner zusätzlich besorgt, ist die hohe Nachfrage seit dem „Abnehm-Spritzen-Boom“, durch den das Medikament teilweise selbst für Diabetiker nicht mehr verfügbar sei. So hatte Rüb vor einigen Monaten bereits Patienten an seinem Schreibtisch sitzen, die an Diabetes erkrankt waren, aber nicht mit dem Medikament behandelt werden konnten. „Wir mussten dann auf unkomfortablere Medikamente umsteigen, bei denen sich die Patienten beispielsweise deutlich häufiger spritzen mussten als sonst“, berichtet Rüb. Durch den immer größer werdenden „Hype“ um das Medikament befürchte er weitere Engpässe. Deshalb sollte seiner Meinung nach die Ausgabe der Spritzen für Nicht-Diabetiker reduziert werden, sodass Diabetiker nicht unter den Engpässen leiden.
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„Nun gibt es Leute, die argumentieren, dass Adipositas ebenfalls zu gefährlichen Krankheiten führen kann, sodass die Spritze auch hier wichtig ist – das ist ja per se auch völlig richtig. Bei Menschen, bei denen alles getan werden muss, damit sie so schnell wie möglich abnehmen, kann die Spritze durchaus helfen“, so der Mediziner. Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass das Gewicht zurückkomme, sobald die Spritze wieder abgesetzt werde. Allein durch die Spritze würden die Leute auf lange Sicht keine Abnehmerfolge verzeichnen – „nicht mal ansatzweise so, wie Instagram es vermittelt.“ Die Basis für langfristige Abnehmerfolge müsse deshalb eine Lebensstilveränderung sein – und kein Medikament.