Gladbeck. Die Gladbecker Drogenhilfe stellt fest, dass die Anzahl der Kinder und Jugendlichen wächst, die Drogen ausprobieren. So will sie gegensteuern.
Die Empfehlung von Martina Richter, Leiterin der städtischen Drogenberatungsstelle „Drop Out“, ist eindeutig: „Die Aufklärung über die gefährlichen Folgen von Drogenkonsum muss schon viel früher ansetzen als bisher.“ Sie machte im Sozialausschuss deutlich, „dass Präventionsarbeit schon in der fünften Klassen beginnen sollte“ und nicht erst ab der Mittelstufe. Die Sozialarbeiterin hatte als Beleg harte Fakten aus ihrer täglichen Arbeit in Gladbeck zu berichten.
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Sie stelle mit zunehmender Sorge fest, dass derzeit die Zahl der jungen Gladbecker wächst, „die sich an Drogen das erste Mal ausprobieren wollen“. Dies sei mit dem natürlichen Verhalten von Kindern und auch mit der Corona-Pandemie zu begründen. „Kinder müssen sich in ihrer Identitätsbildung ausprobieren und Grenzen austesten“, das sei ein normaler Vorgang. Gefährlich bis lebensbedrohlich werde es, wenn dabei Drogen ins Spiel kommen, deren Wirkung die Kinder nicht abschätzen könnten. Und Corona mit den Lockdowns habe dazu geführt, dass Kinder und Jugendliche das Empfinden haben, „jetzt stärker alles nachholen zu müssen, was sie vermeintlich in den zurückliegenden drei Jahren verpasst haben“. Mit weiterer Sorge, dass es wieder eine Lockdown geben könnte, der ihre Freiheit erneut einschränkt.
13-Jähriger vergiftet sich mit Nikotin-Droge „Snus“
Dieses „Vieles schnell ausprobieren müssen“ könne dann auch den Griff zu mehr oder weniger gefährlichen Drogen bedeuten. Kinder mit einem mangelnden Selbstbewusstsein, die gerne cooler erscheinen wollten, seien hier anfälliger als psychisch stabilere Kinder. Der Wechsel zur weiterführende Schule könne ebenfalls den Drogenkonsum befördern, „da jüngere hier leichter mit älteren Schülerinnen und Schülern zusammenkommen und abhängen können, die Drogen dabei haben“. Martina Richter berichtete im Schulausschuss von einem 13-jährigen Jungen, der das relativ leicht über das Internet erhältliche Aufputschmittel „Snus“ an seiner Schule ausprobiert hat. Ein kleines Säckchen mit hochkonzentriertem Nikotinextrakt, das im Mund in die Wangentasche geschoben wird. Das über die Schleimhaut absorbierte Nikotin kann anregend, angstlösend und stimulierend wirken.
„Der mit dem Konsum unerfahrene Junge hat auf das Säckchen gebissen, so dass viel Nikotin freigesetzt und aufgenommen wurde“, berichtet die Sozialarbeiterin. Nikotin sei bekanntlich ein Nervengift, das ab bestimmten Mengen tödlich wirken könne. Der Schüler habe insoweit Glück gehabt, dass er nur starke Übelkeit und Kreislaufprobleme hatte. Die Gladbecker Schule alarmierte die Eltern, und man habe gut in Sachen Konsequenzen und Prävention reagiert. Richter: „Der 13-Jährige musste das Drop Out aufsuchen und über die Arbeit der Beratungsstelle ein Referat schreiben, das er dann in seiner Klasse vorzutragen hatte.“
Eltern müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und genauer hinsehen
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Die Expertin appelliert an Gladbecker Eltern: „Ihre Verantwortung wahrzunehmen und genauer hinzusehen, was das Kind macht.“ Dabei sollten sie ein besonderes Augenmerk auf die Nutzung elektronischer Medien und das Surfen im Internet haben. Denn auf einschlägigen Homepages könnten sehr einfach Drogen bestellt werden, etwa Happy Caps oder CBD-Liquids. Erstere sind harmlos aussehende Pillen, deren synthetischer Wirkstoff LSA je nach Konzentration ähnliche psychedelische Wirkung wie ein LSD-Trip haben kann. CBD/THC-Liquide enthalten synthetisches Cannabidiol. Sie werden mit einer E-Zigarette verdampft, inhaliert und als legale Variante zu Cannabis beworben. Etwa via Internet aus China bezogen, könne der Wirkungsgrad nur schwer eingeschätzt werden. Denn Pille wie Liquid enthalten Chemiecocktails, „die gefährliche Horrortrip-Wirkung haben können. „Herzrasen, Krampfanfälle, Panikattacken und sogar psychotischen Schübe“, so Richter im Gespräch mit der WAZ.
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Was ein wenig im Ausschuss beruhigen mochte: Martina Richter berichtete, dass es in Gladbeck keine harte offene Drogenszene gebe. Von, „bei sicherlich einer unbekannten Dunkelziffer“, mehr als 350 über die allgemeine Suchthilfe begleiteten Personen, seien 50 Heroinkonsumenten. Sie beziehen diese stark abhängig machende Droge in der nahen Nachbarschaft, etwa Gelsenkirchen oder Bottrop. Cannabis konsumiere mit 200 Menschen der Großteil der über das Drop Out Betreuten, weitere 100 Klienten bevorzugten Amphetamin. Wobei letztere Droge aus Sicht der Drogenberatung problematisch ist, „da das Gramm schon für ‘taschengeldfreundliche’ 3,50 bis fünf Euro angeboten wird“, wohingegen ein Gramm Gras 10 bis 12 Euro koste.
Due Zahl der Drogentoten in Gladbeck ist weiter gesunken
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Im vergangenen Jahr konnten über die Drogenberatung 69 Entgiftungen sowie 49 Langzeittherapien vermittelt werden. Neun der Therapien wurden abgebrochen. Die Zahl der Drogentoten in Gladbeck ist seit 2020 weiter gesunken von drei, über zwei auf einen Toten in 2022.