Gladbeck. Thomas Aeffner verhilft Menschen zu sexuellen Erfahrungen. Im Gespräch mit der WAZ Gladbeck berichtet er über seinen Job als Sexualbegleiter.
Vor wenigen Wochen hat die WAZ Gladbeck über Fabian berichtet, ein Gladbecker mit Downsyndrom, der Sexualbegleitung erhält. Der 63-jährige Thomas Aeffner aus Schwalmtal arbeitet seit 2016 als verifizierter Sexualbegleiter. Er lebt in einer Partnerschaft und hat zwei erwachsene Kinder. Sein Arbeitsalltag besteht daraus, Frauen zu sexuellen Erfahrungen zu verhelfen, bei denen – solange sie volljährig sind – das Alter keine Rolle spielt. „Wir bleiben sexuelle Wesen bis zu unserem Tod“, erklärt Aeffner im Interview mit der WAZ Gladbeck und berichtet von seiner außergewöhnlichen Tätigkeit. Mit dieser Folge endet die Serie „Bei aller Liebe“.
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Herr Aeffner, wie würden Sie ihren Job beschreiben?
Sexualbegleitung ist eine besondere Form der Sexarbeit. Es kann pädagogische Aspekte haben, muss es aber nicht. Das kommt darauf an, wofür die Dienstleistung angefordert wird. Sexarbeit und Therapie überschneiden sich an dieser Stelle. Die gesetzliche Erlaubnis, uns Therapeuten zu nennen, haben wir aber nicht. Streng genommen ist es also kein therapeutischer Beruf. Trotzdem kann er emanzipatorische und stärkende Auswirkungen auf die Seele oder den Körper nehmen. Das, was wir da tun, hilft den Klienten dabei, sich zu entwickeln, Selbstbewusstsein aufzubauen und überhaupt dazu fähig zu werden, sexuelle Beziehungen aufzubauen.
Ein Sexualbegleiter ist in seiner Selbstbestimmung völlig frei
Also bieten Sie die Sexualbegleitung nicht nur für beeinträchtigte Menschen an?
Nein. Es geht vielmehr um Inklusion, also dass keine Sonderwege für Menschen mit Behinderung gebildet werden. Es soll alles ermöglicht werden, um sie am normalen Leben teilnehmen zu lassen. Somit gilt das Angebot für alle Menschen. Allerdings ist jeder Sexualbegleiter in seiner sexuellen Selbstbestimmung völlig frei und darf selbst entscheiden, welche Klienten er oder sie annimmt und was mit getan wird.
Wer nimmt Sexualbegleitung in Anspruch?
In meinem Fall sind es Frauen, die mit ihrem Selbstbewusstsein kämpfen. Jede Frau hat immer irgendwas an sich auszusetzen, weil sie selten irgendwelchen Idealen aus Sendungen wie „Germanys Next Topmodel“ entspricht. Sie können sich vorstellen, dass das Gefühl der Wertlosigkeit, bei Frauen, die eine Behinderung haben, oftmals noch viel stärker ist, wenn der Körper schief ist, die Beine kurz sind oder die Gesichtsmuskulatur nicht kontrolliert werden kann.
Und Sex hilft ihnen dabei, das Gefühl der Wertlosigkeit abzulegen?
Die Erfahrung einer liebevollen Begegnung zu jemandem kann sehr hilfreich sein. Es ist wie ein Beweis dafür, dass der eigene Körper zum Geschlechtsverkehr fähig und damit völlig in Ordnung ist. Da kann bereits ein einziges Treffen einen großen Unterschied machen.
Nun wissen Ihre Klientinnen aber, dass die Situation inszeniert ist und sie Geld dafür zahlen. Kann das denselben Effekt haben, wie wenn man mit jemandem schläft, der sich auch selber bewusst dazu entschieden hat?
Ich bin natürlich nur der Übungspartner. Mit mir kann man kennenlernen, was alles möglich ist und zwar deutlich gefahrloser. Bei mir muss man keine Angst davor haben, etwas Falsches zu tun oder zu sagen. Dennoch lege ich großen Wert darauf, respektvoll behandelt zu werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist es meine Aufgabe, den Klientinnen zu erklären, dass sie anders mit mir umgehen müssen. Dass es eine bezahlte Begegnung ist, muss immer wieder klar gemacht werden, weil es sich eben nicht immer danach anfühlt.
Die eigentliche Sexualbegleitung mit der Klientin läuft über eine Stunde
Ist es Ihnen denn schonmal passiert, dass sich eine Klientin in Sie verliebt hat?
Ja, aber auch das ist ein Learning und hier kommt es auf klare und ehrliche Kommunikation an. Wir können uns schließlich nicht aussuchen, in wen wir uns verlieben. Es gehört auch zum normalen Mensch sein dazu, dass wir uns unglücklich verlieben.
Was unterscheidet ihren Job zu anderen Formen der Sexarbeit?
Mich nervt diese Abgrenzung von meiner Tätigkeit zur „normalen“ Sexarbeit. Wir kämpfen alle mit starken Vorurteilen gegenüber meinen Kolleginnen, die das anbieten, was man unter „normaler“ Sexarbeit versteht. Das ging mir lange Zeit auch so. Ich hatte immer einen Stereotyp im Kopf, bis ich Frauen aus dem Bordell kennengelernt und festgestellt habe, dass diese Stereotypen nicht zwingend zutreffen. Auch sie haben viele Kunden, die immer wieder kommen, ihnen ihr Herz ausschütten und durch sie an Selbstvertrauen gewinnen.
Wie läuft eine Sexualbegleitungsstunde ab?
Das ist völlig individuell und abhängig von den Wünschen und Bedürfnissen der Klientinnen. Man führt ein intensives Vorgespräch, in dem diese geäußert und auch die Grenzen von beiden Seiten aufgezeigt werden. Hier wird auch klar definiert, ob es überhaupt zum Sex kommen soll. Nach der Stunde führt man ein Zwischengespräch und spricht darüber, ob beim nächsten Mal irgendwas anders verlaufen soll oder sich neue Wünsche entwickelt haben.
Dem Therapeuten muss die Sexualbegleitung auch Spaß machen
Macht Ihnen die Stunde selber Spaß?
Der Geschlechtsverkehr ist für einen Mann natürlich schwierig, wenn er da nicht auch selber Spaß dran hat. Ich würde es nicht tun, wenn ich es doof fände und wenn ich bei einer Person keine Erektion erleben kann, dann muss ich das ehrlich kommunizieren. Dann gibt es keinen penetrativen Sex, aber das ist ja eh nur eine Möglichkeit, Sex zu haben. Um meinen Spaß geht es nicht.
Was sagen Ihre Kinder und Ihre Partnerin zu Ihrem Job?
Meine Kinder sind in einem Künstler-Haushalt groß geworden. Sie sind es gewohnt, dass ihre Eltern Dinge tun, die andere Eltern nicht tun. Von daher hat es sie nicht besonders überrascht. Sie wollen bloß nicht mit allzu vielen Details belästigt werden. Mit meiner Partnerin sieht das ähnlich aus. Wir waren schon zusammen, bevor ich Sexualbegleiter geworden bin und sie hat natürlich nicht „Juhu“ geschrien, als es dazu kam.
Wer mehr über Thomas Aeffner und seine Tätigkeit als Sexualbegleiter erfahren möchte, findet weitere Informationen auf www.sexualbegleitung-nrw.de.
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