Gladbeck. Vestische hat bisher, auch in Gladbeck, rund 126.000 Neun-Euro-Tickets verkauft. Fraglich, wie viele Kunden bleiben. Denn es gibt auch Probleme.
Mehr als 126.000 Neun-Euro-Tickets hat die Vestische in ihrem Gebiet, zu dem auch Gladbeck gehört, bislang verkauft, davon 72.000 für den Juni. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Vestische-Sprecher Christoph van Bürk.
Einer der Käufer ist Clemens Grabien (54) aus Dorsten. Er bezeichnet sich selbst als Neukunde, wollte für seinen Weg zum Arbeitsplatz in Marl den öffentlichen Nahverkehr testen. So ganz zufrieden ist er nicht. Mit zwei notwendigen Umstiegen ist er mehr als eine Stunde unterwegs. Mit dem Auto schafft er den Weg zum Arbeitsplatz in knapp 20 Minuten. „Ob ich mir auch für Juli ein Neun-Euro-Ticket zulege, muss ich mir noch überlegen“, sagt er.
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Geplant sind Millionen-Ausgaben in Infrastruktur und Netzausbau
So wie Grabien geht es wahrscheinlich etlichen Neukunden des öffentlichen Nahverkehrs, die den Verlockungen des subventionierten Fahrscheins erlegen sind und nun vielleicht feststellen müssen, dass der Wert für sie doch eher begrenzt ist. Es gibt im Vest sicherlich sehr gute Verbindungen auf stark frequentierten (Schnellbus-)Linien, auf denen Pendler schnell von A nach B kommen. Doch in vielen, vor allem ländlichen Bereichen des Kreises Recklinghausen sind Bus und Bahn keine wirkliche Alternative zum eigenen Auto.
Das ist auch den Verantwortlichen der Vestischen klar. „Der Preis allein wird die Menschen nicht überzeugen, dauerhaft auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen“, gibt Vestische-Pressesprecher Jan Große-Geldermann die Einschätzung seines Hauses wieder. Zunächst einmal müsse das Fahrplan-Angebot verbessert werden. Die Vestische ist, mit Rückendeckung des kommunalen Gesellschafters Kreis Recklinghausen, an dem Thema dran. Geplant sind Millionen-Ausgaben in Infrastruktur und Netzausbau. Die neuen Expressbus-Linien („XBusse“), die am 12. Juni in Betrieb gegangen sind, sind erste sichtbare Boten der „Verkehrswende“. Weitere Pläne sollen in diesem Sommer konkretisiert werden.
Daten und Fakten zum Neun-Euro-Ticket
Das Neun-Euro-Ticket wird vom 1. Juni bis zum 31. August 2022 angeboten. Es handelt sich um eine Monatskarte, die jeweils bis zum Monatsende gültig ist – unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt das Ticket gekauft worden ist.
Mit dem subventionierten Ticket können Fahrgäste rund um die Uhr den gesamten Nahverkehr in ganz Deutschland nutzen: Busse, Straßenbahnen, Stadt- und U-Bahnen sowie S-Bahnen, Regionalbahnen und Regionalexpresse in der 2. Klasse. Der Fernverkehr (ICE, IC, EC) und private Anbieter wie zum Beispiel FlixTrain sind von der Aktion ausgeschlossen.
Das Neun-Euro-Ticket ist bei der Vestischen digital erhältlich (über die Vestische App und im Online-Ticketshop unter www.vestische.de). Außerdem kann es in den Bussen beim Fahrpersonal, in den Kunden-Centern sowie den privaten Vertriebsstellen erworben werden.
Züge fuhren in Gladbeck-West wegen Überfüllung ohne Halt vorbei
Bis zu 60 Millionen Fahrgäste – diese Zahl stammt aus der Zeit vor Corona – nutzen die Busse der Vestischen jährlich. 55.000 Kunden verfügen über ein Monatsabonnement. Das Nahverkehrsunternehmen, das 125 Linien im Kreis Recklinghausen sowie in Bottrop und Gelsenkirchen betreibt, hofft, dass das Neun-Euro-Ticket nun auch Gelegenheitsfahrgäste auf den Geschmack bringt. „Wir freuen uns über jeden neuen Kunden“, sagt Jan Große-Geldermann. Aber wie nachhaltig das für drei Monate verbilligte Ticket ist, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen, so der Vestische-Sprecher. Auch sei nicht auszuschließen, dass im September, wenn die normalen Preise gelten, so mancher Kunde wieder abgeschreckt werde.
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Anders als in den Linienbussen der Vestischen gibt es in den Regionalzügen der Bahn dichtes Gedränge. Viele Menschen nutzen das Neun-Euro-Ticket für längere und kürzere Ausflüge. Das erlebte auch die Gladbeckerin Marie Güdding auf dem Weg zur Universität in Dortmund. „Die Linien S 9 und RE 14 nach Essen sind wegen Überfüllung mehrmals am Bahnhof Gladbeck-West ohne Halt vorbeigefahren“, berichtet die 19-Jährige.
Trotz der mehr als 126.000 verkauften Neun-Euro-Tickets blieb es in den Linienbussen der Vestischen im Juni hingegen relativ entspannt. Lediglich am Pfingstwochenende kam es auf einigen Linien zu Gedränge. „Da mussten Fahrgäste zu Spitzenzeiten auch schon mal auf den nächsten Bus warten“, berichtet Große-Geldermann. Am langen Wochenende zu Fronleichnam habe es jedoch keine Probleme gegeben. Anders als im regionalen Zugverkehr, wo die Abteile und Gänge teilweise völlig überfüllt sind, wie die Bahnunternehmen berichten. Angesichts der Sommerferien, in denen viele Familien im Urlaub sind und der Schülerverkehr sowieso ausfällt, rechnet die Vestische zumindest in ihren Bussen weiterhin mit einer gelassenen Atmosphäre.
Neun-Euro-Ticket als Vorlage für das 365-Euro-Jahresticket?
Kommende Woche will das Verkehrsunternehmen mit einer Online-Befragung starten, um detailliertere Informationen zu den Nutzerinnen und Nutzern des Aktionstickets zu bekommen, zu erfragen, warum sie jetzt auf den öffentlichen Nahverkehr umgestiegen sind oder es gegebenenfalls trotz des niedrigen Preises nicht tun.
Die Erkenntnisse könnten auch eine Argumentationsgrundlage dafür werden, auch nach der Drei-Monats-Aktion für jeweils neun Euro weiter günstigere Tickets anzubieten. „Das bringt auch das 365-Euro-Ticket wieder ins Spiel“, sagt Christoph van Bürk. Für einen Euro am Tag könnten Fahrgäste damit das ganze Jahr den öffentlichen Nahverkehr nutzen. (Mit lh und tab)