Gladbeck. Nach einem Gerichtsurteil sind die Abwassergebühren in NRW zu hoch. Welche Folgen das Urteil für Gladbecker Bürger hat. Das rät ein Anwalt.

Im Grunde ist jeder Gladbecker Haushalt betroffen: Seit Jahren sind Abwassergebühren in Nordrhein-Westfalen von Kommunen auf einer falschen Bemessungsgrundlage berechnet worden – auch in Gladbeck. Das Oberverwaltungsgericht hat der Klage eines Grundstücksbesitzers in einem Musterverfahren jetzt Recht gegeben. Ein Anwalt sagt, was Gladbecker Bürger nun tun können, um zu viel gezahltes Geld zurückzubekommen.

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Die Richter haben die Kalkulation der Abwassergebührensatzung der beklagten Kommune (Oer-Erkenschwick) bemängelt, deren verwendetes Berechnungsmuster weitere NRW-Kommunen - auch Gladbeck - genutzt haben. Die Stadt habe bei den Gebührenbescheiden die Abschreibungen und Zinsen so berechnet, dass diese die tatsächlichen Kostenfür die Anlage wie die Abwasserrohre am Ende überschreiten, so das Urteil. Beim kalkulatorischen Zinssatz ging die beklagte Stadt wie bislang vom Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre aus und setzte noch einen Aufschlag drauf. Das OVG dagegen sieht heute nur noch einen Zeitraum von zehn Jahren als begründbar an. Und so kamen die Richter nicht auf einen Zinssatz von 6,52 Prozent wie die Stadt, sondern nur noch auf 2,42 Prozent.

Gebührenverlust in Millionenhöhe für den Gladbecker Haushalt

Kämmerer Thorsten Bunte rechnet mit Gebührenverlusten in Millionenhöhe für Gladbeck durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes.
Kämmerer Thorsten Bunte rechnet mit Gebührenverlusten in Millionenhöhe für Gladbeck durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Für die Haushalte der Kommunen bedeutet das Urteil Gebührenverluste in Millionenhöhe. Rund 25.000 Bescheide wurden an Grundstücksbesitzer in Gladbeck verschickt, die ihre Abwasserkosten gegebenenfalls auf ihre Mieter umlegen. Gladbecks Kämmerer, Thorsten Bunte, hat schon grob überschlagen, was eine Neukalkulation ausmachen würde. Die Gebühreneinnahmen würden demnach um bis zu knapp 2,5 Millionen Euro geringer ausfallen – ausdrücklich vorbehaltlich der Auswertung der schriftlichen Urteilsbegründung, die innerhalb der nächsten vier Wochen erwartet wird.

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„Welche genauen Auswirkungen das Urteil auf das laufende Jahr 2022 hat, wird dann auch überprüft“, sagt Christiane Schmidt, Leiterin des Referates Kommunikation der Stadt. „Wir warten dazu auf eine Bewertung und Handlungsempfehlung des Kommunalen Spitzenverbandes. Auch die Kämmerer der Städte im Kreis Recklinghausen führen dazu miteinander Gespräche.“ „Nach dem Mechanismus des Kommunalabgabengesetzes ist aber grundsätzlich gewährleistet, dass etwaige, zu hoch veranschlagte Gebühren in den folgenden Jahren ausgeglichen werden, so dass sich kein Gebührenzahler schlechter steht“, ergänzt Thorsten Bunte.

Anwalt empfiehlt: Zügig Widerspruch gegen den Bescheid einlegen

Was das „Abwasser-Urteil“ für Eigentümer und Mieter bedeutet und wie Betroffene jetzt handeln sollten, erklärt Rechtsanwalt Arndt Kempgens. „Empfänger der Gebührenbescheide sind grundsätzlich die Eigentümer der Grundstücke, nur diese können auch Rechtsmittel einlegen“, so der Jurist. Also nicht die Mieter. Ein Widerspruch sei innerhalb eines Monats nach Eingang gegen den Bescheid möglich. Wer die Frist noch einhalten könne, „sollte jetzt sofort Widerspruch bei der Ausgangsbehörde (Behörde, die den Bescheid erlassen hat) erheben“. Einen Vorteil hätten Immobilienbesitzer, die bereits vor dem Richterspruch gegen den letzten Bescheid Rechtsmittel eingelegt haben, „sie profitierten direkt von dem Urteil“.

Auch Mieter können handeln

Mieter könnten ebenfalls tätig werden, auch wenn sie vom Abwassergebührenbescheid nur indirekt betroffen sind: „Bitte unbedingt den Vermieter anschreiben und auf die Problematik und das Urteil hinweisen“, empfiehlt Rechtsanwalt Arndt Kempgens.Wenn nämlich der aktuelle Gebührenbescheid für das eigene Wohnhaus aktuell noch nicht bestandskräftig sei (die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist), „dann haben Mieter einen Anspruch darauf, dass Vermietende sich darum kümmern und Widerspruch einlegen“.Und gut zu wissen: „Macht das der Eigentümer oder die Eigentümerin nicht, so haben Mieter einen Schadenersatzanspruch in Höhe der nach dem neuen Urteil möglichen Einsparung.“

Aber auch wenn die Widerspruchsfrist schon abgelaufen ist, empfiehlt Kempgens den Rechtsweg. Denn: „Auch die Rücknahme eines – eigentlich – bereits unanfechtbaren Bescheides ist rechtlich möglich.“ Er verweist dabei auf den Paragrafen 130 der Abgabenordnung (AO), der das vorsehe. Der Anwalt rät daher Betroffenen, mit Verweis auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes NRW „Widerspruch wegen offensichtlicher Falschberechnung einzulegen und die Rücknahme des Bescheides sowie eine Rückforderung zu viel bezahlter Gebühren zu verlangen“.

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Offen sei aber dabei, wie die Behörden reagieren werden. „Ich könnte mir vorstellen, dass Gemeinden und Städte freiwillig zu viel erhobene Abwassergebühren zurückzahlen oder für die nächste Berechnung eine Gutschrift erteilen“, so Arndt Kempgens. Es könne allerdings auch sein, dass Behörden sich auf den verspäteten Widerspruch beriefen und eine Neuberechnung ablehnten. Dagegen ist nach Ansicht des Gelsenkirchener Rechtsanwaltes eine Klage möglich. „Verwaltungsgerichte können nämlich trotzdem eine Rückzahlung anordnen, wenn die Nichtrückzahlung aus Sicht des Gerichts ein Verstoß gegen Treu und Glauben“, also rechtsmissbräuchlich, wäre.