Gladbeck. Am 13. Oktober 1946, vor exakt 75 Jahren, wurde der erste Rat der Stadt Gladbeck nach dem Krieg gewählt. Die Wahl endete mit einer Überraschung.

Vor genau 75 Jahren, am 13. Oktober 1946, fanden in Gladbeck die ersten freien Kommunalwahlen seit 1929 statt. Nach der Nazi-Gewaltherrschaft und den Schrecken des Zweiten Weltkriegs begann mit dieser Wahl der Weg in die heutige, seit langem selbstverständlich gewordene kommunale Demokratie. Erst im Spätsommer 1945 hatte die britische Militärregierung wieder Parteien zugelassen, normalisierte und demokratisierte sich das politische Leben. Doch diese erste Nachkriegswahl in Gladbeck, da sind sich die Stadthistoriker einig, endete mit einer Überraschung.

Denn zur stärksten Partei in Gladbeck wurde damals die SPD mit 45 Prozent gewählt, gefolgt von der CDU mit 38 Prozent und der KPD mit 15,8 Prozent. Vor den Wahlen hatten die Parteivorsitzenden bei einer Voraussage des Wahlausgangs übereinstimmend getippt, dass die CDU knapp über 50 Prozent erhalten würde, SPD und KPD sich die andere Hälfte der Stimmen im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel teilen würden.

Die SPD erhielt 21 Sitze im 33-köpfigen neuen Stadtrat

Das Rathaus war im Krieg durch Bombentreffern zum Teil zerstört worden, die erste Ratssitzung 1946 konnte daher noch nicht im Ratssaal stattfinden.
Das Rathaus war im Krieg durch Bombentreffern zum Teil zerstört worden, die erste Ratssitzung 1946 konnte daher noch nicht im Ratssaal stattfinden. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Doch die Gladbecker entschieden anders. Von den 38.386 Wahlberechtigten waren 31.506 zu den Urnen gegangen (Ende 1946 zählte Gladbeck gut 59.000 Einwohner) und hatten mit ihrer Stimmabgabe überraschend anders über die Verteilung der 33 Sitze in der neuen Stadtverordnetenversammlung entschieden: Die SPD erhielt 21, die CDU zehn und die KPD zwei Sitze.https://www.waz.de/staedte/gladbeck/nur-langsam-begann-nach-dem-krieg-der-wiederaufbau-id227590015.html

Die erste Sitzung der Stadtverordnetenversammlung (kurze Zeit später: Rat der Stadt Gladbeck) fand am 25. Oktober 1946 statt, allerdings nicht im noch teils kriegszerstörten Rathaus. Wichtigster Tagesordnungspunkt: Friedrich Lange, üblicherweise Fritz Lange genannt, wurde zum Stadtverordneten-Vorsteher gewählt – später Oberbürgermeister. Mit Lange wurde ein Bergarbeiter, Betriebsrat und Gewerkschafter zum OB gewählt, der nach Kriegsende mit anderen Kumpeln dafür gesorgt hatte, dass Gewerkschaften auf den Schachtanlagen wieder frei agieren konnten.

Fritz Lange wurde erster frei gewählter Oberbürgermeister der Stadt

Eine andere Szene der Grundsteinlegung für die Berufsschule: OB Fritz Lange hinter Oberstadtdirektor Hans Boden (mit dem Hammer in der Hand), der seit 1947 im Amt war.
Eine andere Szene der Grundsteinlegung für die Berufsschule: OB Fritz Lange hinter Oberstadtdirektor Hans Boden (mit dem Hammer in der Hand), der seit 1947 im Amt war. © Stadtarchiv | Metzner

Fritz Lange löste Wilhelm Olejnik (SPD) ab, der seit dem 14. Juni 1946 kommissarisch das OB-Amt inne hatte und dazu von den Briten, die in der Jovy-Villa residierten, ernannt worden war. Olejnik, der im neuen Rat SPD-Fraktionschef wurde, vertrat ab 1947 Gladbecker Interessen im neuen NRW-Landtag. Mit der Wahl Langes zum OB wurde die von den Briten etablierte Doppelspitze für die Stadt eingeführt: Lange war nun als OB Vorsitzender des Rates und oberster Repräsentant der Stadt. Ihm zur Seite stand der Oberstadtdirektor als Leiter der Verwaltung, zuständig für die laufenden Geschäfte der Stadt. Dies war zunächst noch der (von der britischen Kommandantur) ernannte Oberstadtdirektor Johannes Schulte. Am 15. August 1947 wurde er durch den ersten frei gewählten Oberstadtdirektor, Hans Boden, abgelöst. Schulte war anschließend im bereits 1948 wieder gewählten Rat CDU-Fraktionsvorsitzender.https://www.waz.de/staedte/gladbeck/bis-kriegsende-1945-versank-die-stadt-in-schutt-und-asche-id227529053.html

Die Startbedingungen für die neue Stadtregierung konnten nicht schlechter sein: Gladbeck lag 1946 noch weitgehend in Trümmern, viele Straßen waren defekt und unbenutzbar. Es herrschte enormer Wohnraummangel – auch angesichts einer immer weiter und zwar schnell wachsenden Bevölkerung (Zuwanderung aus den Ostgebieten). Lange herrschte Zwangswohnraum-Bewirtschaftung. Besonders groß war die Schulraumnot. Unterrichtet wurden teils in vier Schichten, Pfosten und Bretter dienten Kindern wie Lehrern als Sitzgelegenheiten: Im November 1946 standen für 8380 Volksschüler gerade mal 94 Klassenräume zur Verfügung.

Die Menschen hungerten, froren und hatten kaum Platz zum Wohnen

Die Stadt war Ende der 40er Jahre noch sehr gezeichnet vom Krieg – hier die Hochstraße kurz vor der Kreuzung mit der Postallee.
Die Stadt war Ende der 40er Jahre noch sehr gezeichnet vom Krieg – hier die Hochstraße kurz vor der Kreuzung mit der Postallee. © WAZ FotoPool | VON STAEGMANN, Lutz

Große Probleme bereitete die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln, in weiten Teilen der Bevölkerung wurde oft und lange gehungert. Lebensmittel wurden mit Bezugsscheinen vergeben. Der Schwarzmarkt bereitete zudem große Probleme. Zur Energieversorgung mussten die Kumpel auch in Sonderschichten fördern – um die Kohle einigermaßen „gerecht“ verteilen zu können. Und nicht zuletzt sah es schlecht mit der Gesundheitslage der Stadt aus: Es gab dreimal so viele Tbc- und 30-mal so viele Typhusfälle wie vor dem Krieg. Es wurde sogar das Holz knapp für Sarg-Bestattungen.https://www.waz.de/staedte/gladbeck/die-kohle-brachte-die-stadt-in-den-50er-jahren-voran-id227659509.html

Fritz Lange, nach dem das Fritz-Lange-Haus an der Friedrichstraße benannt ist, richtete sein Augenmerk vor allem auf die Belange der Bevölkerung, wollte Gesundheit, Zufriedenheit und Wohlfahrt fördern. Wichtig waren ihm der Wohnungsbau, aber auch Bildung und Ausbildung junger Menschen.

Zwölf Jahre ander Stadtspitze

Fritz Lange, Gladbecks erster frei gewählter OB nach dem Krieg, stammte ursprünglich aus Gelsenkirchen. Später arbeitete er auf Zeche Scholven und wohnte in Zweckel. 1913 trat er der Gewerkschaft bei, 1914 der SPD. Lange war auf den Tag genau zwölf Jahre bis zum 25. Oktober 1958 im Amt.

Seine letzten Amtsjahre als OB waren von gesundheitlichen Problemen und einer Stagnation seiner politischen Arbeit geprägt, heißt es. 1958 wurde er abgewählt und durch Heinrich Kliemt abgelöst. Lange starb 1960 im Alter von 63 Jahren. An ihn erinnert das Fritz-Lange-Haus an der Friedrichstraße.