Gladbeck. Seniorin Hannelore Czerwinski hat Krieg und Nachkriegszeit erlebt. Sie sagt, damals war der Zusammenhalt der Gesellschaft in der Krise größer.

Freilich könne man Krieg und Nachkriegszeit nicht direkt mit der Corona-Pandemie vergleichen, sagt Seniorin Hannelore Czerwinski. Was aber damals wie heute wichtig sei, „damit es den Menschen insgesamt besser geht, ist, Solidarität untereinander zu zeigen“, unterstreicht die 91-Jährige Gladbeckerin. Sie sagt im Gespräch mit der Redaktion, was sie heutzutage in der Pandemie zwischenmenschlich vermisst und was wir aus der auch lokalen Geschichte lernen könnten.

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Mit wachem Geist verfolgt die rüstige Rentnerin täglich die Berichterstattung in der WAZ, „mein Fenster in die Welt und ins Geschehen der Stadt“, denn auch ihren Lebensalltag habe die Pandemie mit ihren Schutzbestimmungen stark eingeschränkt und verändert. „Im Januar 2020 haben wir noch groß im Marktstübchen mit der Verwandtschaft meinen 90. Geburtstag gefeiert, dann passierte Corona und nichts war mehr wie vorher. Imme neue Hiobsbotschaften, man traute sich ja nirgendwo mehr hin.“ Ihre persönlichen Kontakte habe sie sehr eingeschränkt, kein Treff mehr mit Bekannten, keine Ausflüge von Alt-Rentfort in die City zum Bummel durch die Fußgängerzone. „Jeder hatte Angst, dem anderen zu begegnen und auch Neffen und Nichten wollten mich lieber nicht mehr besuchen, weil sie fürchteten, mich anstecken zu können“.

Viele Gladbecker verhalten sich sehr ichbezogen

Als „Frau Nordsee“ stadtbekannt: Hannelore Czerwinski hälkt ein Foto aus jungen Jahren in der Hand. Sie ist am Tresen ihres Fischgeschäfts an der Hochstraße zu sehen, in dem sie mehr als 40 Jahre tätig, und so vielen Gladbeckern gut bekannt war.
Als „Frau Nordsee“ stadtbekannt: Hannelore Czerwinski hälkt ein Foto aus jungen Jahren in der Hand. Sie ist am Tresen ihres Fischgeschäfts an der Hochstraße zu sehen, in dem sie mehr als 40 Jahre tätig, und so vielen Gladbeckern gut bekannt war. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Es sei insgesamt zu beobachten gewesen, wie sich die Menschen auch in Gladbeck verändert haben. „Viele haben sich sehr eingeigelt und verhalten sich sehr ichbezogen.“ Selbst die Kinder in der Nachbarschaft seien nicht mehr zu sehen, die sonst regelmäßig beim Spielen draußen bei ihr (als bekannt spendabler Kinderfreundin) angeklopft hätten: „Hanne, hast du Gummibärchen?“. Es sei natürlich so, dass jetzt alle eine schwere Zeit durchmachen, „aber die hat es im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit auch gegeben“, sagt die 91-Jährige. Mit dem großen Unterschied, „dass die Menschen da mehr zusammengehalten, im Hunger nach Hamsterfahrten miteinander geteilt haben, und der eine für den anderen mehr da war und sich um Nachbarn und Bekannte gekümmert hat“.

Als „Frau Nordsee“ stadtbekannt

Hannelore Czerwinski wird vielen älteren Gladbeckern nicht von ungefähr vertraut vorkommen. Die engagierte Frau führte über Jahrzehnte die Filiale einer großen Kette rund um das Produkt Fisch in der City an der Hochstraße 28. Sie war so als „Frau Nordsee“ stadtbekannt.

Nach dem Krieg hatte sie 1946 im Fachgeschäft als Lehrmädchen angefangen, dann mit dem neuen und strengen Chef Czerwinski zunächst warm werden müssen. Der ihr letztlich aber so gut gefiel, dass die Hochzeitsglocken läuteten.

Bis zum Eintritt ins Rentenalter 1987 führte Hannelore „Hanne“ Czerwinski das Fisch-Fachgeschäft. Mit kurzem Exkurs in einen Verkaufswagen von 1971-73 an der Lambertistraße, als an der Hochstraße 28 der Altbau abgerissen, und durch den heutigen Bau ersetzt wurde.

Der Egoismus liege sicher daran, dass viele Leute große Angst vor dem Virus und dem Tod haben. Letzterer sei auch im Krieg ein ständiger Begleiter gewesen, „wenn wir bei Fliegeralarm in den Bunker gelaufen sind, und dann die Bomben auf Gladbeck fielen“. Aber sicher, es habe ja einen deutlichen Unterschied gegeben, sucht die Seniorin eine Erklärung, „damals konnte man die Gefahr sehen und hören, die mit den Fliegern kam und dann wieder wegging. Den tödlichen Coronavirus heute sieht man hingegen nicht“. Besonders schlimm finde sie die egoistischen Verschwörer und Querdenker, „die die Gefahr des Virus leugnen, obwohl die Bilder der Toten weltweit in den Medien zu sehen sind“, die so dazu beitragen würden, die verunsicherte Gesellschaft und ihren Zusammenhalt „bewusst zu spalten“.

Solidarität ist jetzt besonders wichtig

Dabei sei Solidarität doch jetzt besonders wichtig. „Es gibt so viele alleinstehende Menschen, die völlig vereinsamt sind.“ Viele Senioren, die sich über Anteilnahme und Kontakt unter Schutzbedingungen freuen würden. „Und ältere Gladbecker sind ja bereits vollständig geimpft, wie ich auch“, unterstreicht Hannelore Czerwinski. Gleichwohl trage sie diszipliniert weiter ihre Schutzmaske, aus Solidarität, um niemanden vielleicht doch zu gefährden. Sie verstehe allle jungen Gladbecker, „die das Zusammensein mit ihren Freunden vermissen“, die etwas unternehmen wollen und die die Schutzbestimmungen nerven. Aber es werde ja zusehends besser, sagt Hannelore Czerwinski. Und sie hat eine große Bitte: „Wenn wir jetzt alle noch ein bisschen Geduld und Durchhaltevermögen zeigen, gegenseitig Rücksicht nehmen und Verständnis haben, dann geht die Pandemie umso schneller vorbei.“