Gladbeck. Hüseyin Geçit kam 1963 aus Istanbul, seine Frau Melek zwei Jahre später. Sie wollten zurück, aber die alte Heimat war den Kindern fremd.

Hüseyin Geçit folgte dem Ruf nach Deutschland schon 1963. Der heute 87-Jährige arbeitete unter anderem auf den Zechen Nordstern in Horst und Hugo in Buer. Im ersten Heimaturlaub lernte er Melek kennen. Am 27. Mai 1965 heirateten sie, und wenig später saß das Paar im Zug von Instanbul Richtung Deutschland.

Gerade mal 18 war Melek damals, ließ traurige Eltern, sechs Schwestern und zwei Brüder zurück, um ihrem Mann nach Gladbeck zu folgen. Leicht ums Herz sei auch ihr nicht gewesen, erinnert sich die heute 74-Jährige. „Natürlich wollte ich mit meinem Mann leben, aber ich hatte auch große Angst. Ich wusste nur das von Deutschland, was er mir erzählt hatte, kannte die Sprache nicht, wusste nicht, was mich erwartet.”

Eine kleine Dachgeschosswohnung in Brauck war das erste Zuhause

Melek Gecit  mit ihrem Mann Hüseyin Geçit (l.) und einem Freund bei einem Spaziergang in ihren ersten Jahren in Gladbeck.
Melek Gecit mit ihrem Mann Hüseyin Geçit (l.) und einem Freund bei einem Spaziergang in ihren ersten Jahren in Gladbeck. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses in Brauck erwartete sie – und jede Menge Unsicherheit: „Wenn mein Mann auf der Arbeit und ich allein in der Wohnung war, bin ich jedes Mal zusammengeschreckt, wenn es schellte und habe durchs Schlüsselloch geguckt.” Häufig standen glücklicherweise deutsche Nachbarn vor der Tür, die der jungen Frau Hilfe anboten. „Darüber habe ich mich sehr gefreut. Sie sind beispielsweise mit mir einkaufen gegangen, weil ich mich nicht verständlich machen konnte, nicht wusste, wie das heißt, was ich kaufen wollte.”

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Das änderte sich schnell. „Mit Hilfe der lieben Nachbarn, auf der Arbeit bei Siemens und durch meine Kinder habe ich die deutsche Sprache gelernt.” Drei Töchter und ein Sohn wurden zwischen 1966 und 1979 geboren. „Als unsere erste Tochter Susan auf die Welt kam, haben wir ein Glückwunschschreiben der Stadt Gladbeck bekommen”, erzählt Melek Geçit. „Sie gehörte zu den ersten türkischen Kindern, die in Gladbeck geboren wurden.”

Die Familie Geçit hat nie bereut, in Gladbeck geblieben zu sein

Gruppenbild an der Zeche Nordstern mit Hüseyin Geçit (erste Reihe zweiter von rechts). 1963 kam er als Bergmann ins Ruhrgebiet.
Gruppenbild an der Zeche Nordstern mit Hüseyin Geçit (erste Reihe zweiter von rechts). 1963 kam er als Bergmann ins Ruhrgebiet. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Der Nachwuchs war es auch, der Melek und Hüseyin Geçits Ursprungspläne über den Haufen warf. “Eigentlich wollten wir nur so lange hier bleiben, bis wir genügend Geld gespart hatten, um uns in der Türkei ein Haus zu kaufen und zurück zu gehen nach Instanbul“, erzählt Melek Geçit. „Aber die Kinder sind hier in den Kindergarten und in die Schule gegangen, kennen die Türkei nur von unseren Besuchen dort, haben immer Deutsch gesprochen und von mir Türkisch gelernt. Unsere alte Heimat wäre ihnen fremd gewesen. Deshalb sind wir geblieben.”

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Bereut haben sie das nicht. „Ich fühle mich schon lange als Deutsche, nicht als Ausländerin”, sagt die 74-Jährige. Die Familie gehört dem alevitischen Glauben an, praktiziert einen liberalen Islam. Alevitische Frauen tragen kein Kopftuch, sind modern und gleichberechtigt. Melek Geçit hat beispielsweise 1983 den Führerschein gemacht, ihr Mann nie. Nur ein paar Wochen später hat sie die ganze Familie kreuz und quer durch die Türkei chauffiert.

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Das Ehepaar wohnt seit einiger Zeit wieder in Brauck

Vor einiger Zeit ist das Ehepaar, als alle Kinder aus dem Haus waren, wieder nach Brauck gezogen. Melek und Hüseyin Geçit wohnen jetzt direkt neben dem Haus, in dem in Gladbeck alles für sie anfing. „Einige der Nachbarn von früher leben noch, und wir haben nette neue Menschen kennengelernt. Wir sind in Deutschland, in Gladbeck, zu Hause.”

Sahin Ünlütürk: Bergmann und Berater

Tahsin Ünlütürk kam 1964 mit 24 Jahren nach Deutschland. Er gehörte zu den ersten angeworbenen „Gastarbeitern“ aus der Bergarbeiterstadt Zonguldak in der Türkei. Nach ein paar Wochen in Gelsenkirchen zog er nach Gladbeck und holte 1968 Frau und zwei Kinder nach. Das dritte Kind, Hülya, wurde in Gladbeck im St.-Barbara-Hospital geboren.

Tahsin arbeitete bis zu seinem Ruhestand auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. Das Bergwerk hatte für wenige seiner ausländischen Mitarbeiter einen Deutschkurs organisiert. Er nahm daran teil und konnte in zwei Jahren seine Deutschkenntnisse so verbessern, dass ihm über Tage ein Büro zur Verfügung gestellt wurde und er als Ansprechpartner und Berater für ausländische Kumpel tätig werden konnte. Es war für ihn auch selbstverständlich, gewerkschaftlich aktiv zu sein. 2017 ist Tahsin Ünlütürk verstorben.

Seine Tochter Hülya Haack-Yol hat sich als examinierte Krankenschwester mit einem Pflegedienst und einer Tagespflege in Gladbeck selbstständig gemacht und ist eine erfolgreiche Unternehmerin. Sein Sohn Bahtiyar Unlütürk (SPD) war lange Jahre Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt.