Gladbeck. Sie Krebspatientin, er Herzpatient: Ein Gladbecker Paar wartet auf die rettende Impfung – „damit die Kinder nicht alleine aufwachsen müssen“.
Miriam K., ihr Mann Kai-Uwe (60) und ihre beiden Töchter (12, 14) sind verzweifelt. „Wir leben seit einem Jahr in weitgehender Isolation und in ständiger Angst vor einer tödlichen Corona-Infektion“, berichte die 49-Jährige. Hintergrund seien ihre Krebserkrankung, ihr geschwächtes Immunsystem und die noch immer nicht erfolgte Corona-Schutzimpfung.
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„Der Onkologe hat gesagt, wenn ich mich mit Covid-19 infiziere, dann habe ich keine Überlebenschance.“ Durch die angepasste Priorisierungsliste für die Schutzimpfung habe die Familie gehofft, „dass meine Immunisierung endlich erfolgt, und uns die Angst und Isolation genommen wird“, so die Gladbeckerin. Die Termine würden aber durch Lieferengpässe und jüngst den Astrazeneca-Impfaussetzer immer weiter nach hinten geschoben, „eine für mich wie sicher auch für andere Betroffene schwer auszuhaltende Situation“.
Dem Krebs als sichtbarem Gegner gestellt
Miriam K. und ihr Mann geben Einblicke in ihren Alltag, „stellvertretend für Familien in ähnlicher Situation“, sie möchten aber eine gewisse familiäre Anonymität wahren, so dass ihr Nachname nicht ausgeschrieben wird. Ihre schweren Krebs-Chemotherapien hätten angefangen, als im März 2020 die Viruspandemie in Deutschland anzog, erzählt die Gladbeckerin. Sie sei da mit dem festen Vorsatz hineingegangen, „den Krebs zu besiegen“, das habe sie auch ihren Töchtern versprochen, „denn sie brauchen mich doch noch, und ich will sie bei ihren weiteren Lebensschritten begleiten und unterstützen“. Der Krebs sei ein quasi greifbarer und sichtbarere Gegner gewesen, dem sie sich habe stellen können, mit bislang erfolgreicher Therapie.
Anders sei es nun mit dem Coronavirus. Es sei eine diffuse, nicht greifbare Gefahr, die ihr und der Familie quasi aus allen Richtungen drohe und an den physischen und psychischen Kräften zehre. Denn es komme belastend hinzu, das Ehemann Kai-Uwe Herzpatient, und damit auch stärker durch Corona gefährdet sei. Miriam K. findet drastische Worte: „Wenn wir uns anstecken, dann sind wir beide weg, und unsere Kinder müssen alleine aufwachsen.“ Das belaste die gesamte Familie und den Freundeskreis. „Jeder hat Angst, uns zu besuchen und uns zu nahe zu kommen“.
Als die Meldungen über den Impfstart kamen, habe die Familie gejubelt
In den Osterferien 2020 habe die Familie gejubelt, berichtet Kai-Uwe K., „als es hieß, dass jetzt die ersten Impfstoffe zur Verfügung stehen und zügig zugelassen werden“. Auch die behandelnden Onkologen seiner Frau seien davon ausgegangen, „dass sie als hochgradig gefährdete Krebspatientin mit den betagten Bürgern zur Gruppe der Menschen gehöre, die zuerst geimpft werden“. Dem Glücksgefühl sei aber schnell die zunehmende Frustration gefolgt, als im Januar die Impfungen losgingen. Sie habe sich über die Telefonhotline 116117 bemüht, einen Impftermin zu erhalten, sagt Miriam K.. Dort sei sie aber auf wenig Verständnis gestoßen und habe nur den Hinweis erhalten, dass sie noch nicht dran sei, zur Prio-Stufe Drei zähle und wohl erst im Sommer geimpft werde.
Höhere Priorisierung ist möglich
„Es gibt zwei Wege für Menschen, die schwer erkrankt sind, bei den Corona-Schutzimpfungen bevorzugt berücksichtigt zu werden“, informiert Lena Heimers von der Pressestelle des Kreises Recklinghausen auf Anfrage. Zunächst könne ein formloser Antrag auf Hochpriorisierung gestellt werden.
„Dies betrifft aber nur akute Härtefälle, etwa Menschen, die unmittelbar vor einer Chemo-Behandlung stehen, oder vor einer Organtransplantation“, unterstreicht Heimers. Hier reiche eine E-Mail mit entsprechendem ärztlichen Attest als Beleg an prioimpfung@kreis-re.de aus.
Zudem könnten auch behandelnde Ärzte ein Attest für eine höhere Priorisierung in Gruppe Zwei ausstellen, wenn bei ihrem Patienten dafür besondere Gründe vorliegen. „Laut Plan sollen im April für diese Bevölkerungsgruppe die Schutzimpfungen starten“. so Lena Heimers.
Sie sei daraufhin in ein Wechselbad der Gefühle aus Wut und Verzweiflung gefallen, „da mir unverständlich war, dass nur stumpf eingeteilt und zunächst gar nicht zwischen körperlich fitten hochbetagten Menschen und akut lebensbedrohten vorerkrankten Menschen unterschieden wird“. Sie selbst sei trotz hohen Infektionsrisikos in Gruppe Drei gerutscht, „weil meine akute Krebsbehandlung erfolgreich abgeschlossen wurde“. Mit der Zulassung des Astrazeneca-Impstoffes sei dann zumindest die Coronavirus-Impfverordnung neu gefasst worden, so dass auch Krebspatienten wie sie, bei denen die Behandlung weniger als fünf Jahre her ist, „in die Prioritätsgruppe Zwei hochgestuft wurden“.
Beim Onkologen für die Schutzimpfung auf die Warteliste gesetzt
Miriam K. setzt zudem auf eine weitere Möglichkeit. Die Kanzlerin habe ja zugesagt, „dass nach den Osterferien niedergelassene Ärzte erste Impfdosen erhalten sollen“. Ihr Onkologe habe sie so bereits auf seine Warteliste gesetzt. „So dass ich hoffe, im April endlich vor einer Corona-Infektion geschützt zu werden“. Ihre gleichaltrigen Brieffreundin in England, ebenfalls Krebspatientin, sei schon längst geimpft. Auch in anderen Ländern gehe es pragmatisch schnell voran, nur in Deutschland nicht. „Das ist doch ein Armutszeugnis, wir bremsen uns trotz dritter Corona-Welle mit unserer eigenen Bürokratie aus“, sagt Miriam K. Sie klammere sich an die Hoffnung, „dass es jetzt bald auch hier endlich für alle mit der Schutzimpfung voran geht“.