Gladbeck. Die neuen Kollektionen kommen. Die versprochenen Hilfen vom Bund stehen noch aus. So zerrt der wochenlange Lockdown an Nerven der Einzelhändler.
Harte Zeiten für die Modebranche: Seit Wochen müssen die Geschäfte geschlossen bleiben, die Einnahmen sind eingebrochen, die Kosten laufen weiter, die Winterware ist noch längst nicht ausverkauft, und jetzt stehen die Lieferanten mit der Frühjahrs- und Sommerkollektion vor der Tür.
Mehr als 100.000 Euro Verlust hat der Inhaber von Stil Vest bisher im zweiten Lockdown gemacht
Mehr als 100.000 Euro Verlust habe ihn der zweite Lockdown bisher gekostet, sagt Stephan Ignatzy, Inhaber des Modegeschäfts Stil Vest mit Niederlassungen in Gladbeck und in Dorsten. „Ein bisschen konnte ich über Instagram und Facebook verkaufen, aber auf dem Großteil der Winterkollektion werden wir sitzen bleiben, denn selbst wenn wir unsere Geschäfte bald wieder öffnen können, ist es zu spät für dicke Jacken und Pullover.“
Ignatzy, der seine Geschäfte erst 2019 von Peacock übernommen hat, ist froh, dass er zumindest ausreichend Lagermöglichkeiten hat, denn ein Teil der Frühjahrskollektion ist bereits eingetroffen. „Jetzt habe ich eine Vollbremsung gemacht und alle weiteren Lieferungen vorerst gestoppt“, erzählt der Einzelhändler. „Von Mitte Dezember bis zum 1. Februar sind Kosten in Höhe von rund 60.000 Euro zusammengekommen, die Einnahmen waren gleich null. Ich muss schon privates Geld einsetzen, aber das geht schließlich auch nicht endlos.“ Glücklicherweise haben seine Zulieferer sich kulant gezeigt, halten die bestellte Ware einige Zeit zurück.
Nach der Öffnung liefern alle gleichzeitig, und alle Rechnungen müssen bezahlt werden
Aber das ist nur eine Atempause: „Wenn wir wieder öffnen dürfen, liefern alle gleichzeitig, und alle Rechnungen müssen auch gleichzeitig bezahlt werden.“ Ignatzy hofft, dass die versprochenen Hilfen vom Bund bald endlich fließen. Bisher hat er keinen Cent gesehen. „Die Antragsformulare für die Kostenzuschüsse sehen noch nicht einmal online.“ Trotz aller Probleme bleibt er aber optimistisch: „Die Impfungen und der Sommer werden die Wende bringen. Und dann kommen wir mit Schwung zurück. Ich glaube an die Renaissance unserer Branche.“
Auch Elke Schmidt, Inhaberin des Damenkleidungsgeschäfts Klecks Fashion an der Goethestraße, hat ihre Zuversicht noch nicht verloren, obwohl sie gerade großen Ärger mit Zulieferern hat: „Einige Firmen knebeln uns, verlangen sogar, dass wir vor der Lieferung bezahlen. Zum Glück sind nicht alle so, räumen uns mehr Zeit für die Zahlung ein.“ Geld vom Staat hat auch sie noch nicht bekommen. 80 Prozent des normalen Umsatzes habe sie im zweiten Lockdown bisher verloren, sagt die Geschäftsfrau.
Winterware wird mit hohen Rabatten angeboten
Hohe Hürden
Das Versprechen der Regierung, den Händlern die übrig gebliebene Herbst- und Winterware quasi „abzukaufen“, bezeichnet Einzelhändler Jens Große-Kreul als „Witz“. Die Innung kenne nicht einen Händler, der in den Genuss dieser Finanzspitze gekommen sei. „Die Hürden sind viel zu hoch.“ Unterstützung aus anderen „Töpfen“ sei lächerlich gering.
Trotz des Online-Verkaufs bleibe bei ihm ein dickes Minus. „Unsere Geschäfte mussten seit dem ersten Lockdown bisher dreieinhalb Monate geschlossen bleiben. Die Regierung macht kaputt, was wir uns über Jahre aufgebaut haben.“ Er wolle die Pandemie nicht kleinreden, sagt der Einzelhändler, aber: „Lockdown ja, aber bitte für alle. Das bringt die Zahlen nach unten.“
Dass nicht noch viel mehr Winterware im Laden hängt, verdanke sie ihren treuen Stammkundinnen: „Sie bestellen Waren und holen sie an der Tür ab. Viele nutzen auch unser Angebot der Überraschungstüten. Sie sagen uns, was im Kleiderschrank fehlt, wir stellen ein Sortiment zusammen und liefern es aus. Die Kundinnen können zu Hause in Ruhe anprobieren und auswählen, und was nicht gebraucht wird, holen wir wieder ab.“ Was dennoch hängengeblieben ist, wird mit hohen Rabatten angeboten oder wandert, wenn es zeitlose Mode ist, ins Lager. Die Schaufenster hat Elke Schmidt schon mit Frühjahrsmode dekoriert, erfreut sich an den schönen Farben und hofft, dass sie bald wieder Kundinnen in ihrem Geschäft begrüßen kann.
„Lockdown ja, aber bitte für alle“ Jens Große-Kreul, Inhaber von zwei Schuhgeschäften in Gladbeck und einer Filiale in Castrop-Rauxel, lässt im Gespräch mit der WAZ mächtig Dampf ab. Die nicht verkauften Stiefel ins Lager zu transportieren, sei sein geringstes Problem, sagt er. Ihn bringen die „willkürlichen Entscheidungen der Regierenden“ auf die Palme: „Industriebetriebe bleiben geöffnet, die Autobänder laufen, Handwerker dürfen arbeiten, auf Baustellen tragen sie nicht einmal Schutzmasken, und wir müssen unsere Geschäfte schließen, obwohl wir bestimmt bessere Sicherheitskonzepte haben. In einigen Amazon-Niederlassungen haben sich Hotspots entwickelt, bei uns bestimmt nicht.“
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