Gladbeck. Infektionsketten unterbrechen: Ein Team im Kreis spürt Menschen auf, die mit Corona-Infizierten Kontakt hatten. Es ist ein Stück Detektivarbeit.
Es leistet in der Corona-Krise echte „Detektivarbeit“ – und sollte dabei immer möglichst schnell sein: das Team der Kontaktnachverfolgung im Kreishaus in Recklinghausen. Denn je rascher eine – Vorsicht: Behördensprech – „Kontaktperson der Kategorie 1“ ermittelt und in häusliche Quarantäne geschickt werden kann, desto kleiner ist das Risiko, dass diese ihrerseits wieder ungewollt Freunde, Verwandte oder Kollegen ansteckt. „Unser großes Ziel ist es, Infektionsketten zu unterbrechen“, sagt Astrid Platzmann-Scholten. „Und das geht nur mit Schnelligkeit.“
Dem Team zur Kontaktnachverfolgung kommt eine Schlüsselrolle zu
Die 60 Jahre alte Fachärztin für Gynäkologie hat im Kreishaus zusammen mit Hans Vogelsang die operativen Strukturen für die Bewältigung der Corona-Pandemie geschaffen. Dazu gehört auch das Team der Kontaktnachverfolgung. Ihm kommt eine Schlüsselrolle zu.
Es ist jetzt wieder aufgestockt worden, mit externen Kräften und Mitarbeitern aus anderen Verwaltungsbereichen. Aktuell besteht es aus 50 bis 60 Frauen und Männern. Zur Hochzeit des Infektionsgeschehens Ende April waren es sogar mal rund 100. „Wobei die Arbeit nicht weniger geworden ist“, wie Platzmann-Scholten erläutert. „Denn während des Lockdowns gab es zwar höhere Covid-19-Fallzahlen, aber die Betroffenen hatten dafür viel weniger Kontaktpersonen als jetzt.“
So läuft die „Detektivarbeit“ in der Corona-Pandemie ab
Und so läuft die „Detektivarbeit“ ab: Die Verwaltungsmitarbeiter setzen sich mit der positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Person in Verbindung – und bitten sie darum, eine Liste mit ihren Kontakten zu erstellen. Dabei geht es nicht mehr, wie anfangs, um die vergangenen zwei Wochen. Es wird nur noch bis zwei Tage vor dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome zurückgeblickt. Gibt es keine Symptome, ist der Zeitpunkt des Tests entscheidend.
Absolute Priorität für die „Detektive“ aus dem Kreishaus haben jetzt die Personen, die einen engen Kontakt zum positiv Getesteten hatten – und damit auch ein höheres Infektionsrisiko. „Eng“ heißt beispielsweise: „Mehr als 15 Minuten Kontakt mit weniger als 1,5 Meter Abstand, etwa im Rahmen eines Gesprächs“, erläutert Platzmann-Scholten. Dieses Beispiel ist auch in der Aufzählung zu finden, mit der das Robert-Koch-Institut besagte „Kontaktperson der Kategorie 1“ definiert – und nach der sich der Kreis richtet.
Über Krankheitsbild und Übertragungsrisiken aufklären
Diese Personen müssen die Verwaltungsmitarbeiter nun ans Telefon bekommen. Um im Gespräch herauszuarbeiten, wie eng der Kontakt tatsächlich war.
Telefonische Begleitung der Infizierten
„Bei der Ermittlung und dem Umgang mit Kontaktpersonen ist jeder Fall anders, es gibt kein ‚Schema F‘, an das man sich halten könnte“, sagt Kreis-Sprecherin Svenja Küchmeister. Zudem erweitere sich das Wissen über das Virus ständig.
„Deshalb hat das Robert-Koch-Institut beispielsweise auch seine Empfehlungen, wann jemand aus der Quarantäne entlassen werden kann, mehrfach verändert“, so die Medizinerin Platzmann-Scholten. Für dieses „Entlassmanagement“ sind die Kontaktnachverfolger ebenfalls zuständig.
Genauso wie für die telefonische Begleitung der Infizierten. „Woher haben Sie überhaupt meine Nummer?“ Diese Frage hörten die Verwaltungsmitarbeiter gerade zu Beginn der Corona-Krise häufiger. Mittlerweile sei der Ton aber freundlicher geworden, weniger harsch. „Uns ist schon klar, dass eine Quarantäne-Anordnung ein gewaltiger Einschnitt ist, mit dem man sehr vorsichtig sein muss. Und auch, dass da nicht jeder Lust drauf hat“, so Platzmann-Scholten. „Aber sie ist wichtig. Sie soll die Verbreitung der Erkrankung verhindern und dient dem Schutz von uns allen.“
Um sie über das Krankheitsbild und Übertragungsrisiken aufzuklären. Und – wenn sich der „Kategorie-1“-Verdacht bestätigt – um sie zum Corona-Test beim DRK anzumelden sowie in häusliche Quarantäne zu schicken.
Dafür genügt es aber nicht, nur die Kontaktliste des Infizierten „abzutelefonieren“. Denn das wirkliche Leben ist viel komplizierter. Da gibt es den dementen Senior, der infiziert in der Klinik liegt – zuvor aber mit einem ganz anderen Problem in einem anderen Krankenhaus und dann noch in der Kurzzeitpflege war – und zudem ja überhaupt keine entsprechende Auskunft geben kann. Den Mann „in den besten Jahren“, der gar nicht alle kannte, mit denen er auf der Geburtstagsparty des Skatbruders ein Bier getrunken hat. Oder die junge Frau, die gar nicht weiß, wer der andere Passagier war, der da neben ihr im Flugzeug saß. „In so einem ähnlichen Fall hing ich vor kurzem noch in der Warteschleife der Air France fest“, erzählt Platzmann-Scholten. Und selbst, wenn alle Daten vorlägen, dauere es manchmal Tage, bis man jemanden ans Telefon bekäme.