Gladbeck. Raid Al Wais flüchtete 2015 aus dem Irak – in dem Glauben, seine Frau und die Kinder schnell nachholen zu können. Daraus wurde erst mal nichts.

Dass es fünf Jahre dauern würde, bis Raid Al Wais seine Frau und seine vier Kinder wiedersieht, damit hatte er nicht gerechnet, als er sich 2015 aus seiner Heimat Irak auf den Weg nach Deutschland machte. Seine jüngste Tochter war gerade einmal ein Jahr alt. „Viele dachten, sie gehen den gefährlichen Weg alleine und können dann möglichst schnell auf sicherem Weg ihre Familien nachholen“, erzählt Monika Claus von der Evangelischen Flüchtlingshilfe. Doch in Raid Al Wais´ Fall kam es anders.

17 Tage war der heute 39-Jährige unterwegs, nachdem er im Oktober 2015 den Irak verließ. Er floh zunächst in die Türkei; über Griechenland, Serbien, Mazedonien und Österreich gelangte er im November nach Deutschland. Mit Bussen, Zügen und in einem „deutlich überfüllten Boot“ war er unterwegs. Schließlich kam Al Wais nach Gladbeck.

Raid Al Wais fand Unterstützung bei der evangelischen Flüchtlingshilfe in Gladbeck

Etwa ein Jahr darauf stellte er einen Asylantrag, im März 2017 war er anerkannt. „Das ging relativ schnell“, erinnert sich Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup, Pfarrerin im Ruhestand und Gründerin der evangelischen Flüchtlingshilfe in Gladbeck. Dort fand Al Wais von Beginn an Unterstützung.

Im Irak hatte der 39-Jährige als Bauer gearbeitet, nachdem seine Familie überfallen wurde, flüchtete sie zunächst nach Kurdistan. „Aufgrund des Hasses zwischen Kurden und Arabern kam die Familie aber wieder zurück, kurz darauf habe sich Raid entschlossen, nach Deutschland zu fliehen“, berichtet Hildebrandt-Junge-Wentrup.

In der evangelischen Kirchengemeinde aktiv

Raid Al Wais ist in der evangelischen Kirchengemeinde aktiv. Er ließ sich nach seiner Flucht in Gladbeck christlich taufen.

Auch wenn er dort schon erste Kontakte knüpfen konnte, er hofft, dass er weitere Menschen kennenlernen wird, sobald er besser deutsch spricht.

Es begann ein langer Kampf für den Iraker, seine Frau, die beiden Söhne und die beiden Töchter nach Deutschland zu holen. Wer einen Flüchtlingsstatus hat, hat das Recht, seine Familie nachzuholen. Doch Al Wais bekam nur subsidiären Schutz. „Das war sein Pech“, so Hildebrandt-Junge-Wentrup. Denn über Menschen mit diesem Schutz entbrannte ein Streit, ob sie ihre Familie nachholen dürfen. „2018 wurde die Entscheidung getroffen, dass monatlich nur 1000 Menschen nachkommen dürfen.“

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Al Wais schickte regelmäßig Geld in die Heimat

Die ersten drei Jahre nach seiner Flucht gab es kaum Kontakt zur Familie im Irak. „Irgendwann konnte sich seine Frau ein Handy kaufen“, sagt Mohammed Mustafa, der 2015 selbst als Flüchtling aus Syrien kam und beim Pressegespräch dolmetscht. Al Wais überwies seiner Familie stets Geld, damit sie überleben konnte. „Wir haben uns manchmal Sorgen gemacht, da er dann selbst nichts mehr für sich hatte“, berichtet Hildebrandt-Junge-Wentrup.

Sie führte unzählige Gespräche mit Botschaftern, setzte alles daran, dass die Familie wieder zusammen sein konnte. Ohne Hilfe hätte Al Wais die vielen Hürden nicht nehmen können. „Allein wegen der Sprache. Und es gab viel Bürokratie zu bewältigen“, erinnert sich Hildebrandt-Junge-Wentrup.

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Große Sorge um das Schicksal der Familie im Irak

Die fünf Jahre ohne seine Familie seien „sehr schlimm“ gewesen, so der junge Mann. „Ich erlebte Raid in dieser Zeit als sehr traurig, hilflos und orientierungslos. Das ist kein Wunder, wenn die Menschen, die zu seinem Leben gehören, so weit entfernt sind“, sagt Andreas Schlebach, der sich seit Jahren ehrenamtlich in der evangelischen Flüchtlingshilfe engagiert. Hinzugekommen sei seine große Sorge um das Schicksal der Familie im Irak, in das er nicht eingreifen konnte.

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Umso größer war die Erleichterung und Freude, als seine Familie am 28. Januar 2020 nach fünf langen Jahren endlich am Düsseldorfer Flughafen ankam. „Unglaublich“, so beschreibt Al Wais seine Gefühle an diesem Tag. Es sei wie ein Traum gewesen. Auch die Jüngste erkannte ihren Vater. „In den letzten zwei Jahren haben wir Fotos per WhatsApp ausgetauscht“, sagt Al Wais.

In seiner nur 30 Quadratmeter großen Wohnung lebte die fünfköpfige Familie zunächst, seit April hat sie eine größere Wohnung in Rentfort bezogen. Die drei ältesten Kinder haben schon einen Platz in der Schule, nach den Sommerferien geht es für sie wieder los. Auch Al Wais Ziel ist es nun, sein Deutsch zu verbessern, mindestens das Sprachlevel B 1 zu erreichen. „Dann möchte ich mir einen Job suchen.“ Im Gartenbau möchte er arbeiten – ähnlich wie er in seiner Heimat als Bauer tätig war.