Gladbeck. Die Unfälle mit Fahrrädern gehen in Gladbeck zurück. Doch gefährliche Situationen mit Elektrofahrrädern häufen sich. Gefährdet: Senioren.
Wo mehr Menschen auf Fahrrädern unterwegs sind, passieren auch mehr Verkehrsunfälle mit Drahteseln. Sollte man meinen. Doch im Falle von Gladbeck und dem gesamten Einzugsgebiet des Polizeipräsidiums Recklinghausen geht diese Rechnung nur bedingt auf. Nach den aktuellen Zahlen der Verkehrsunfallstatistik 2019 sank die Zahl der verunglückten Radler im Vergleich zum Vorjahr. Aber die Zahl derjenigen, die auf einem Pedelec oder E-Bike in einen Unfall verwickelt wurden, stieg.
Die Analyse für das laufende Jahr kann Polizei-Sprecherin Ramona Hörst noch nicht nennen. Folglich auch nicht, inwieweit sich der Zweirad-Boom während der Coronakrise in harten Daten niederschlägt. In Zeiten, in denen ein Lockdown angeordnet wurde und die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln Menschen zu gefährlich oder unangenehm war, stiegen viele Gladbecker auf den Drahtesel um – gerne auch mit Motorunterstützung.
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Der Fachhandel erlebte einen wahren Run. Aber auch wenn die Verkehrsunfallstatistik für das erste Halbjahr 2020 nicht auf dem Tisch liegt, erkennt Hörst einen Trend: „Die Zahlen für 2017 bis 2019 sind schon aussagekräftig und zeigen eine deutliche Tendenz.“ Nämlich nach oben.
Gladbeck: Von insgesamt 15 Verletzten des Jahres 2019 waren acht Senioren
So wurden im Jahr 2017 im gesamten Bereich des Polizeipräsidiums Recklinghausen 29 Verkehrsunfälle mit Pedelecs/E-Bikes registriert. Im Jahr darauf flossen 81 Fälle in die Statistik, 2019 waren es 129. Die Zahl der Verunglückten stieg von 33 (2017) auf zunächst 85 (2018), dann im Vorjahr auf 131. Zogen sich vor drei Jahren elf Menschen schwere Verletzungen zu, stieg die Zahl von 24 auf 28 in den Folgejahren. Als leicht verletzt führt der Polizeibericht 22 Betroffene für das Jahr 2017 auf. Ein großer Sprung war für 2018 mit 61 Menschen zu verzeichnen, eklatant der Anstieg auf 102 im Jahr 2019.
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Hörst: „Der Anstieg ist nicht unerheblich. Einerseits hat das mit der steigenden Mobilität der Senioren sowie dem neuen Umweltbewusstsein zu tun.“ Andererseits seien E-Bikes und Pedelecs günstiger zu kaufen als vor Jahren. Allerdings sei es nicht damit getan, sich einfach aufs moderne Gefährt zu schwingen. „Es steht außer Frage, dass bei den Senioren eine erhöhte Unfallgefahr besteht“, sagt Ramona Hörst. Andreas Wilming-Weber, Leiter der Pressestelle in der Polizeibehörde, bestätigt, dass körperlich Leidtragende in vielen Fällen Menschen über 65 sind. Von den insgesamt 15 Verletzten des Jahres 2019 in Gladbeck waren acht Senioren.
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Wilming-Weber: „Sie sind sehr oft bei den Verletzten, weil die abnehmende Reaktionsfähigkeit und die höhere Geschwindigkeit wichtige Faktoren darstellen.“ Er rechnet beispielhaft vor: „Auf einem normalen Fahrrad ist man vielleicht mit 16, 17 Stundenkilometern unterwegs, Senioren mit 13,14 Stundenkilometern. Mit einem E-Bike oder Pedelec sind’s um die 20 Stundenkilometer.“ Deswegen plädiert er eindringlich dafür, sich erst einmal mit dem motorisierten Gefährt vertraut zu machen. Denn: „Man muss Handlungssicherheit bekommen.“ Oftmals unterschätzten Nutzer – aber auch andere Verkehrsteilnehmer – die Beschleunigung und das Tempo ihres Fahrzeugs. Andererseits überschätzten die Fahrer ihre eigenen Fähigkeiten.
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Der Trend zum Pedelec
„Neben dem Fachhandel bieten mittlerweile auch Supermärkte und Discounter Pedelecs für unter 1000 Euro an“, so das Polizeipräsidium Recklinghausen. Daher seien Elektrofahrräder auch für eine größere Käufergruppe attraktiv.
Die Polizei belegt den Trend zum Pedelec an statistischen Verkaufszahlen. Wurden 720.000 dieser Fahrzeuge im Jahre 2017 verkauft, waren es im Jahr darauf schon 980.000 Exemplare. Anno 2019 überschritten die Verkaufszahlen die Millionen-Marke. 1.360.000 Pedelecs fanden Abnehmer.
Hörst weist darauf hin: „Damit insbesondere die Rad fahrenden Senioren mehr Sicherheit beim Betrieb von Elektrofahrrädern erlangen, hat die Direktion Verkehr des Polizeipräsidiums im Jahr 2019 ein neues Präventionskonzept entwickelt. Vorrangiges Ziel ist die Reduzierung von Verkehrsunfällen unter Beteiligung von Elektrofahrrädern mit dem Schwerpunkt der Steigerung der Sicherheit unserer Rad fahrenden Senioren.“ Mit ihrem eigenen Pedelec oder E-Bike konnten Trainingsteilnehmer die sichere Handhabung üben. „In einigen Städten gab es dieses Angebot beispielsweise in Kooperation mit der Volkshochschule“, berichtet Wilming-Weber. Rad-Fachmann Peter Happe und der Seniorenbeirat in Gladbeck gaben „Neulingen“ wertvolle Tipps. Der Polizei-Sprecher räumt jedoch ein: „In Corona-Zeiten wurden solche Übungsangebote zurückgefahren.“
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Das gilt auch für das klassische Fahrradtraining, das Gladbecker Viertklässler Jahr für Jahr absolvieren. Klaus Dieter Parma, Polizist im Ruhestand und Vorsitzender der örtlichen Verkehrswacht, stellt fest: „Wegen Corona können wir im Moment keine Fahrrad-Führerscheine machen.“ Zwar schulen Eltern in Eigeninitiative ihren Nachwuchs, doch ansonsten fallen diese Trainingsstunden aus. „Ohne stetiges Wiederholen, Üben und Kontrollieren sind Kinder aber trotz der praktischen und theoretischen Schulung unsicher“, erzählt der Fachmann.
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Und auch längst nicht jeder Erwachsene sei sattelfest. Parma: „Wer sich mit Muskelkraft fortbewegt, sucht sich den schnellsten und günstigsten Weg. Ob das der richtige ist, ist eine ganz andere Frage . . .“ Der Verkehrsfachmann geht aufgrund eigener Beobachtungen noch einen Schritt weiter: „Der erwachsene Fahrradfahrer macht alles falsch, was man falsch machen kann und sucht die Schuld beim Autofahrer.“ Bei Rot von der Straße auf den Bürgersteig wechseln, in der falschen Richtung den Radweg nutzen, ohne Handzeichen abbiegen – Parma fallen viele Beispiele ein, die auch Wilming-Weber kennt. Und die zu Unfällen führen können.
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Insgesamt 64 Unfälle mit Fahrrädern ereigneten sich im Jahr 2019 auf Gladbecker Boden. Zwar weniger als im Vorjahr (76), aber doch mehr als im Zeitraum 2015 (46) und bis 2017 (50). Vera Bücker, Vorsitzende des ADFC, kritisiert beispielsweise Straßen-Passagen, die aus ihrer Sicht geradezu Unfälle provozieren. Wie die Buersche Straße, auf der sich Radler, Busse und Autofahrer plus parkende Fahrzeuge den Platz teilen. Eine gefahrenträchtige Szene: Jemand öffnet die Wagentür, um auszusteigenden, und ein Fahrradfahrer prallt vor das Hindernis, das sich ihm plötzlich in den Weg stellt. „Dooring“ nennen Fachleute so eine Situation.
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Ob Polizei, Parma oder Bücker, einig sind sie sich in einem Punkt: Radler, einerlei welchen Alters, und Nutzer von Elektrofahrrädern gehören zu einer Risikogruppe, der besondere Aufmerksamkeit gebührt.
Zur Unterscheidung: Pedelecs bieten nur dann Motorunterstützung, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. E-Bikes fahren auf Knopfdruck auch ohne Pedalunterstützung.