Gladbeck. Seit 35 Jahren entführt der Buchhändler die Kundschaft in bunte Lesewelten. Alle Leseanfänger der Grundschulen werden zum Besuch eingeladen.

Es ist wohl so, dass es auch jeder Neuentdecker wahrnimmt, der zum ersten Mal die Humboldt-Buchhandlung zwischen evangelischer Christuskirche und katholischem Stadthaus betritt. Nämlich, dass sich plötzlich etwas verändert hat. Draußen bewegte man sich eben noch eilig fort, aufgesogen im Strom der zu den Bushaltestellen eilenden Passanten. Hier drinnen, umgeben von stumm in den Regalen wartenden Büchern, ist von dieser Hektik nichts mehr zu spüren. Und diese Gelegenheit zur Auszeit vom Alltag, vielleicht auch nur für ein paar Minuten in der gemütlichen Leseecke, ist sicher ein Erfolgsfaktor für das Fortbestehen der inhabergeführten Buchhandlung.

Denn Ruhe umfängt hier den Suchenden, die auch das Team um Inhaber Bernhard Söthe ausstrahlt. Unaufgeregt wird beim Kunden nachgefragt, ob man helfen kann. Stammkunden werden vertraut mit Namen begrüßt und ihnen Neuerscheinungen zu den bekannten Lesevorlieben empfohlen. „Der persönliche Kontakt ist mir das Wichtigste“, sagt Ute Oddei. Seit Jahrzehnten ist sie treue Humboldt-Kundin. Dieses Mal soll es etwas zum Schmökern für die Enkelkinder sein – und sie ist sich sicher, nicht ohne passenden Lesestoff heimzukehren, „denn hier werde ich kompetent beraten.“

Den Kunden kundig Rede und Antwort stehen

Auch interessant

Manchmal wirkt der Laden beim Eintreten zunächst wie verlassen, bevor Söthe, sein Partner Detlef Uhde oder jemand anderes vom Team, aus einem Nebenraum erscheinen. Das Bild eines abseitigen Refugiums mit großem Lehnsessel mag sich dazu aufdrängen, in das sich Söthe und Co. – wann immer Zeit ist – zurückziehen. Um Neuerscheinungen zu durchschmökern, damit sie dem Kunden kundig Rede und Antwort stehen können. Statt nostalgischer Buch-Romantik werden im Back-Office aber wohl eher schlicht Buchsendungen ausgepackt, Kundenwünsche bearbeitet und die Bestände verwaltet. Oder Pläne geschmiedet, um die Zukunft des Buchverkaufs zu sichern.

Auch interessant

Denn hier sei statt Ruhe Aktivität nötig, um im Besonderen auch Leseanfänger als Kunden von Morgen an die wunderbare Welt der Bücher heranzuführen. „Wenn wir Kinder nicht frühzeitig zum Lesen bringen, dann kann ein Geschäft unserer Größe in zehn Jahren zumachen“, sagt Bernhard Söthe. Was liegt also näher, als alljährlich zum Welttag des Buches alle vierten und fünften Klassen des Ortes in die Buchhandlung einzuladen? Insgesamt 65 Schulklassen mit 1880 Nachwuchslesern suchten so jüngst anlässlich des Buchtages eine der Humboldt-Filialen in Gladbeck, Bottrop oder Kirchhellen auf.

Alle vierten und fünften Schulklassen werden in die Buchhandlung eingeladen

In Gladbeck kümmerte sich Tanja Tenberg um die Nachwuchsleser. Sie erzählte ihnen, wie die Bücher von der Idee des Schriftsteller über den Druckvorgang dann quasi in der Buchhandlung auf die Welt kommen. Fragen werden den jungen Besuchern freilich auch beantwortet, und (hoffentlich) Appetit auf mehr Lesestoff mit einer Vorleserunde gemacht. Bunt eingebundene und auch reich bebilderte Vorräte stehen dafür in der Kinder- und Jugend-Buchabteilung in Regalen und dem beleuchteten Lese-Karussell bereit.

Kindheitstraum ging in Erfüllung

Schon als Knirps keimte in Bernhard Söthe der Wunsch, mal Buchhändler zu werden. Denn das in der elterlichen Gärtnerei verdiente Taschengeld wurde vorrangig in Lesestoff aus der damaligen Buchhandlung Neubert investiert, wo sich der Buchstaben-Fan gut beraten fühlte.

Nach dem Abitur am Ratsgymnasium studierte Söthe dann zunächst Jura, sattelte aber zum Heilerzieher um und arbeitete in einer Einrichtung für geistig behinderte Erwachsene. 1984 ging dann der Kindertraum in Erfüllung. Söthe erfuhr, dass die Buchhandlung an der Humboldtstraße zu Verkauf stand und griff zu.

Klar weiß Söthe, dass der gedruckte Buchstabe es neben Computer-Spielen, Smartphone und Fernseher in Kinderzimmern oft schwer hat. Aber er hofft, mit den Klassenbesuchen oder Vorleseveranstaltungen für Groß und Klein einen Samen legen zu können, „der eventuell später aufgeht“. Zum Beispiel wie bei Hendrik Cirkel (17), der zugibt, dass er (außer Schulbüchern) „lange kein Buch mehr gelesen hat“. Seit Kindertagen sei ihm die Buchhandlung aber bekannt, so dass er, auf der Suche nach einem Praktikumsplatz, einfach mal angefragt habe. Der quasi verlorene Sohn war willkommen. „Ich habe mich sofort gut aufgehoben gefühlt“, sagt der Schüler. Der beim Erkunden der Buchhandlung bei einem Krimi hängen blieb, „da habe ich den ganzen Tag lang immer wieder drin gelesen, der ist wirklich gut“, sagt er.

Buchhändler hat noch viel Lust zu arbeiten und die Generationen beim Lesestoff zu beraten

Das macht Hoffnung auf einen möglichen Stammkunden von morgen. Und dass das vertraute Buch-Refugium mit seiner gemütlichen Leseecke die Gladbecker noch lange weiter durch die Generationen begleitet, „darüber braucht sich keiner Sorgen zu machen“, beruhigt Bernhard Söthe. „Noch habe ich Lust und bin gesund“, so der 64-Jährige - und für eine gute Nachfolgelösung werde irgendwann sicher auch gesorgt.