Gladbeck. Die Rektorin der Lambertischule berichtet dem Schulausschuss über Problemlagen. Die Hälfte ihrer neuen Erstklässler konnte nicht bis zehn zählen.
„Die Hälfte der i-Dötze an der Lamberti-Schule konnte beim Schulstart nicht bis zehn zählen.“ Deutliche und ernüchternde Worte zum weiter nachlassenden, also nicht altersgerechtem Bildungsstand vieler Gladbecker i-Dötze hörten die Mitglieder des Schulausschusses bei ihrer Zusammenkunft im Lehrerzimmer der Lambertischule. Nicht von ungefähr war der Sitzungsort gewählt worden, denn das Gremium sollte über die Finanzierung von Förderprojekten des Kinderschutzbundes für Lamberti-Kinder zur Verbesserung der Sprachentwicklung und der motorischen Fähigkeiten beraten.
Die Lambertischule in der Stadtmitte gilt, wie beispielsweise auch die Südparkschule in Brauck, von ihrem Schülerklientel als Grundschule mit Problemlage, die mit Unterstützung der Stadt und großem Engagement der Kollegien intensiv die Kinder fördert. Die Schuleingangsuntersuchung für Gladbeck hatte schon 2017 alarmierend ergeben, dass jedes siebte Kind nicht oder nur bruchstückhaft Deutsch sprechen konnte.
Viele Eltern spielen zu wenig mit ihren Kindern
Lamberti-Rektorin Cäcilia Nagel ging in der Sitzung auf aktuelle Herausforderungen ein, etwa, dass auch Farben oft nicht richtig zugeordnet werden können. Auch eine Bewegungsproblematik sei zu beobachten, weil viele Kinder nicht mehr draußen spielten, daheim vor dem Fernseher oder Computer säßen. „Aber wer nicht gut rückwärts laufen kann, hat oft auch Probleme beim Subtrahieren.“ In den Familien werde ebenfalls zu wenig gemeinsam mit den Kindern gespielt, auch keine Brettspiele, so dass Würfelbilder im Rechenbuch nicht erfasst würden, „weil Würfel den Kindern unbekannt sind“.
Trotz des hohen Migrantenanteils von gut 70 Prozent der 320 Kinder aus 20 Nationen an ihrer Schule verwehrte sich Cäcilia Nagel dagegen, von einer Migrationsproblematik zu sprechen. „Es ist eher eine Sozialproblematik mit einer Konzentration auf ganz vielen Ebenen.“ Beispiel dazu sind die Willkommensbesuche in allen Familien der Erstklässler: „Es gibt Familien, die keinen Esstisch haben, wie soll das Kind da wissen, wie man mit Messer und Gabel isst?“
Hilfestellung in den Familien ist oft nur noch rudimentär
Diese Missstände beobachtet auch Peter Fischer, Vorsitzender des Kinderschutzbundes Gladbeck, der dem Gremium berichtete, „dass die Hilfestellung in den Familien oft nur noch rudimentär da ist“. So dass die Fachkräfte der Hausaufgabenhilfe feststellten, „dass der Bildungsstand der Kinder in den letzten Jahren deutlich schlechter geworden ist“. Sehr besorgniserregend sei der Sprachstand, denn „wenn die Kinder sich im ersten Schuljahr nicht altersgerecht ausdrücken können, sind sie sofort auf der Verlierer-Seite“.
Rektorin Cäcilia Nagel plädierte für eine frühkindliche Förderung, um Defizite auszugleichen. „Wir stellen schnell an den altersgerechten Fähigkeiten fest, welche Kinder kaum, oder gar nicht den Kindergarten besucht haben.“
Junge Eltern brauchen Hilfe bei der Erziehung
Schuldezernent Rainer Weichelt erläuterte, dass es in der Stadt „einen zunehmenden Anteil von Eltern gibt, die Probleme haben, sich richtig gegenüber ihrem Kind zu verhalten“. Um hier zu unterstützen, gewähre das Jugendamt Hilfen zur Erziehung. „Reparaturmaßnahmen mit einem Jahresvolumen von derzeit 19 Millionen Euro“, so Weichelt.
Aus diesem Grund „schon ganz früh den Fokus auf Familien mit Kindern zu legen“, forderte Lehrerin Sibylle Riederer von der Anne-Frank-Realschule (beratendes Mitglied). Dass dies schon geraume Zeit im Rahmen der Kommunalen Präventionskette in Gladbeck geschehe, unterstrich Bettina Weist, Amtsleiterin Bildung und Erziehung. Alle Eltern würden daheim aufgesucht und auf Hilfsmöglichkeiten hingewiesen, „mit dem großen Ziel, sie bei der Bildungsarbeit mitzunehmen“
Die Lokalpolitiker zeigen sich betroffen
Vertreter der Lokalpolitik zeigten sich betroffen und dankten Rektorin Cäcilia Nagel wie Peter Fischer „die Problematik in dieser Klarheit auszusprechen“ (Michael Dahmen, CDU). „Wir müssen festhalten, dass Familien oft nicht mehr in der Lage sind, Defizite auszugleichen“, so Jens Bennarend, SPD. Parteifreund Volker Musiol sprach von „einer Veränderung der Gesellschaft, die auch nachfolgende Generationen betrifft“ und kritisierte, dass für das Bildungssystem „nicht die nötige finanzielle wie personelle Ausstattung“ bereitgestellt werde.
Der Schulausschuss befürwortetet letztlich einstimmig, die dreijährigen Förderprojekte (bis 2021) des Kinderschutzbundes mit Kosten von insgesamt 19.200 Euro zu finanzieren.