Gladbeck. . Ralph Eberhard Brachthäuser forschte über Leben und Wirken der ersten Gladbecker Ratsmitglieder. Viele Gäste kamen zur Buchvorstellung.
„Kennen Sie Wilhelm Fleitmann?“ Mit dieser Frage begann Pastor Ralph Eberhard Brachthäuser am Donnerstagabend die Präsentation seines neu veröffentlichten Buches „Mit Leidenschaft für unserer Stadt – Die Frauen und Männer des ersten Gladbecker Stadtrates“. Ratloses Schweigen unter den fast 30 Interessenten im Haus der Pfarrer-Brachthäuser-Stiftung, zu denen auch sechs Stadtratsmitglieder und Bürgermeister Ulrich Roland gehörten.
Wilhelm Fleitmann ist ein Teil der Geschichte in Brachthäusers neuem Buch, ein Teil der Geschichte des ersten Gladbecker Stadtrats, der in dieser Woche vor 100 Jahren zum ersten Mal zusammentrat. Die Stadtrechte waren damals schon beantragt und wurden letztlich im Juli 1919 erteilt – früher als in Bottrop, wie Brachthäuser betonte. Ab dann durften sich die ersten 67 demokratisch gewählten Gemeindevertreter – 63 Männer und vier Frauen – „Stadtverordnete“ nennen. 29 von ihnen gehörten der SPD an, 19 dem Zentrum und 14 der Polen-Partei. Bis zur letzten halbwegs demokratischen Kommunalwahl im März 1933 gestalteten sie die Stadtpolitik.
Das Buch ist ein Nebenprodukt seiner Forschung zu Johannes van Acken
Deren Leben und Wirken stellt Brachthäuser in seinem Buch vor. Dabei ist dieses eigentlich „nur“ ein Nebenprodukt seiner Forschungen über Johannes van Acken, den damaligen Rektor des St.-Barbara-Hospitals und späteren Caritas-Direktor in Berlin und Köln. Auch er gehörte 1919 dem ersten Gladbecker Stadtrat an. „Ein sehr unterschätzter Mensch“, meinte Brachthäuser, „dabei war er ein Freund der Familie Adenauer. Die hat er sogar mehrfach vor dem Zugriff der Nazis bewahrt. Ich wage die These, dass es ohne van Acken keinen Bundeskanzler Adenauer gegeben hätte.“
Und van Acken ist nur ein Beispiel eines Gladbecker Stadtratsmitglied, das später eine bemerkenswerte Karriere schaffte. In den 67 Biografien finden sich einige prominente Namen, darunter Mathias Jakobs (SPD), der Namensgeber der Stadthalle, der sich später als Abgeordneter des preußischen Landtags dafür einsetzte, dass auch Arbeiterstädte wie Gladbeck ein Kulturangebot bekommen. Der Gladbecker Rechtsanwalt Dr. Hermann Wolters wurde später Oberlandesrichter in Düsseldorf. Franz Riesener (Zentrum) schaffte es sogar bis in den Reichstag. „Die wahrscheinlich größte Karriere schaffte Georg Stieler“, erklärte Brachthäuser, „Der wurde Polizeipräsident in Gelsenkirchen und später Regierungspräsident in Aachen, bevor er von Hermann Göring aus dem Amt gescheucht wurde. 1949 war er Mitglied der Bundesversammlung, die Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten wählte. Man kann also wirklich von Gladbeck aus Karriere machen.“
Im März 1919 wurde der erste Gemeinderat gewählt
Die ersten demokratischen Kommunalwahlen waren eine bemerkenswerte Leistung, wie Brachthäuser herausstellte: „Man hat sogar Sicherheitsdienste engagiert, damit die 25 000 Wahlberechtigten wirklich wählen können. Gladbeck hat das alles hingekriegt, obwohl gleichzeitig in Berlin der Spartakus-Bund den Aufstand probte.“ Selbst die Versuche der Roten Ruhr-Armee, im Ruhrgebiet eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild zu errichten, seien in Gladbeck glimpflich ausgegangen. „Nach zwei Wochen Schreckensherrschaft hat die Reichswehr das Ruhrgebiet befreit.“
Allerdings fanden sich auch Demokratie-kritische Politiker unter den Ratsmitgliedern, das zeigt das Beispiel von Heinrich Krahn. Als Krahn, der auch Landtagsmitglied und Beigeordneter war, 1933 nach der Machtübernahme durch die Nazis sein Amt verlor und die SPD verließ, habe er, so Brachthäuser, gesagt:„Ich stand seit Jahren auf dem Standpunkt, dass das bestehende Parteiensystem beseitigt werden müsse und dass Deutschland baldmöglichst aus den Zerrungen im Parteiengetriebe zu erlösen sei.“
Gladbeck war schon vor mehr als 100 Jahren attraktiv
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Dass die scheinbar wenig bedeutende Bergbaustadt Gladbeck schon damals politisch attraktiv war, demonstrierte Brachthäuser mit einem Beispiel aus dem Jahr 1908: „Amtmann Korte suchte einen neuen Beigeordneten und bekam auf die Ausschreibung 64 Bewerbungen aus dem ganzen Deutschen Reich, von vielen erfahrenen Politikern und Juristen. Für die war es attraktiv, nach Gladbeck zu ziehen, genauso wie es für uns heute attraktiv ist, hier zu wohnen.“
Brachthäuser hatte für sein Buch unter anderem im Gladbecker Stadtarchiv, im Bundesarchiv Berlin, im Caritas-Archiv in Freiburg, im Archiv der Familie van Acken in Hamburg und in Stadtarchiven in ganz Nordrhein-Westfalen recherchiert. Am Ende seiner Präsentation löste er das Rätsel um den eingangs vorgestellten Wilhelm Fleitmann: „Ohne ihn gäbe es das Berufsschulwesen hier in Gladbeck nicht. Das hat er ab 1902 aufbebaut. Als er 1930 pensioniert wurde, sagte Bürgermeister Michael Jovy: Die Stadt wird ihm ewig ein ehrendes Andenken bewahren. Vielleicht wird dieses Buch jetzt ihm und den anderen ein ehrendes Andenken bewahren.“