Gladbeck. .
Mit Pastor Ralph Eberhard Brachthäuser verlässt der letzte Pfarrer den Stadtteil. Am Sonntag verabschiedet er sich von seiner Gemeinde.
„Jeden Sonntag sind wir fleißig am Beten.“ Aber genutzt haben die vielen Vater unser nichts, weiß Elisabeth Bergmann (81) jetzt. An diesem Sonntag, dem 10. Oktober, wird der Pastor von Heilig Kreuz wie angekündigt den letzten Gottesdienst mit seiner Gemeinde feiern. Dass er geht, könnte die Gemeinde noch verkraften, Pastorenwechsel hat’s immer wieder gegeben. Aber dass es keinen Nachfolger für Ralph Eberhard Brachthäuser gibt, das „ist nicht schön“, findet die Seniorin, die sich eine Kirche ohne Pastor gar nicht vorstellen kann. Es hat ja immer einen gegeben, seit sie vor 58 Jahren hier an der Horster Straße geheiratet hat. Auch die Goldene Hochzeit hat sie vor acht Jahren in dem trutzigen Gotteshaus gefeiert und war fest davon überzeugt, dass der Pfarrer zur Diamantenen auch da wäre.
Bistum hat Priestermangel
Der Pastor scherzt mit der alten Dame und lacht herzlich wie immer, solange sie im Pfarrbüro ist. Erst danach wird er ernst und sagt diesen bedeutungsschweren Satz, der das Ausmaß der Veränderung im kirchlichen Gemeindewesen mehr als deutlich macht. „Mit mir verlässt der letzte Pfarrer Butendorf.“ Zuerst sind die evangelischen Kollegen gegangen, drei Kirchen wurden geschlossen. Jetzt trifft es die einzige katholische Kirche im Stadtteil, weil laut Stellenplan des Bistums knapp 3000 Gemeindemitglieder zu wenige sind, um einen der wenigen Priester dort mit der Seelsorge zu beauftragen. Das Bistum Essen hat nicht nur finanzielle Probleme und zurück gehende Mitgliederzahlen, sondern auch ein handfestes Personalproblem: Es gibt zu wenige Nachwuchspriester. Bereits im Jahr 2015 wird es im Bistum 50 Gemeinden ohne Priester geben, weiß Brachthäuser. Ihn schickt der Bischof nun nach Oberhausen-Sterkrade, damit er sich dort um die 6000 Mitglieder von Herz Jesu kümmert.
So sind die Fakten, an denen nicht zu rütteln ist. Auch Brachthäuser kann das nicht ändern, so gern er das tun würde. „Die Gemeinde steht vor der Stunde Null. Das haben die noch nie erlebt,“ sorgt er sich um seine Butendorfer Schäfchen, die er so sehr in sein Herz geschlossen hat, dass „mein Herz hier bleibt“, so seine eigenen Worte. Vor fast zwölf Jahren zog der in Mülheim aufgewachsene katholische Priester in das geräumige Pfarrhaus neben der Kirche. Es war seine erste Pfarrstelle, und trotz des Wissens darum, dass sie zeitlich begrenzt sein würde, wusste er nach kurzer Zeit, dass er nie wieder weggehen wollte. Aus ganz persönlichen Gründen: „Ich habe hier mein Zuhause gefunden“, sagt Brachthäuser, dessen Verständnis von der priesterlichen Gemeindeseelsorge ein traditionelles ist: Der Priester vor Ort, der jederzeit ansprechbar ist, der, wie er, mit dem Fahrrad durch den Stadtteil fährt und der Gemeinde als Hirte vorangeht. „Glauben ist nichts Abstraktes, es ist etwas Personales“, benennt er, was man mit „Priester zum Anfassen“ übersetzen könnte.
Dass er als Konservativer gilt und sein Verständnis von Kirche auch so ist, dazu steht er. „An mir haben sich einige in der Gemeinde gerieben, und ich mich an ihnen.“ Dass der Nachfolger von Pastor Buchem seinen Schwerpunkt in der Kinder- und Jugendarbeit setzte, unbestritten mit 140 Messdienern (Alter: 8 bis 28 Jahre) eine der größten Gruppen im Bistum hat, die Jugend sowie junge Familien offensichtlich für die Kirche begeistern kann, müssen auch seine Kritiker anerkennen.
Schon das ist ein Grund, warum die Gemeinde den Verlust ihres Pastors nicht klaglos hinnimmt. Seit Bekanntwerden der Tatsache, dass ihm keiner nachfolgen wird, richten sie ihren Protest nach Essen. Die Messdiener machten am Gründonnerstag zur traditionellen Chrisam-Messe mit Plakaten auf ihren Unmut aufmerksam, der Gemeinderat sammelte Unterschriften und nutzte zuletzt die Gelegenheit des Antrittsbesuchs von Bischof Franz-Josef Overbeck vor wenigen Wochen in Gladbeck für erneuten Protest. Erhört wurden sie so wenig wie die Gebete von Elisabeth Bergmann.
Kritik an Umgang mit Gemeinden bei der Reform
Pastor Ralph Eberhard Brachthäuser (48) stellt zwar nicht die Notwendigkeit der Umstrukturierung im Bistum Essen in Frage, wohl aber den Umgang mit den Gemeinden und Priestern. „Die Reform wurde von oben aufgedeckelt, Entscheidungen ohne Beteiligung der Gemeinden getroffen, um die es doch geht.“ Sie seien weder um ihre Meinung gebeten worden, noch sei deren Sachkenntnis gefragt gewesen. Nicht das Leben in den Gemeinden habe bei Entscheidungen eine Rolle gespielt, sondern einzig nüchterne Zahlen der Mitglieder oder das Alter der Priester.
Auch er hat jedoch keine Antwort darauf, wie das Problem des Priestermangels gelöst werden kann. „Der Zölibat ist nicht der einzige Grund“, glaubt er. Ordensbruderschaften wie die Prämonstratenser in Duisburg-Hamborn oder die Zisterzienser in Bochum vermeldeten regen Zulauf. Aber ohne Priestervorbilder in den Gemeinden werde es schwierig bleiben.
Das sind düstere Aussichten – bei allem Abschiedsschmerz zeigt der Pastor aber auch ein Stück Gelassenheit: „Wir haben 2000 Jahre Kirchengeschichte überstanden. Das schaffen wir auch noch.“
Diakon übernimmt die Seelsorge
Anders als St. Pius (verkauft) oder St. Elisabeth (Schließung am 20. November) wird die Heilig Kreuz Kirche katholische Kirche bleiben. Das neuromanische Gotteshaus aus dem Jahr 1912 steht unter Denkmalschutz. Und auch das Gemeindeleben soll fortgesetzt werden. Schon vor drei Jahren, als die Kürzungen im Bistum griffen, übernahm ein engagiertes ehrenamtliches Team notwendige organisatorische Aufgaben. Das Pfarrbüro ist damit jeden Vormittag besetzt, auch die Küsterarbeiten werden von der Gemeinde ausgeführt. Die Kosten für die Kirchenmusik wird weiterhin die Heilig Kreuz Stiftung übernehmen, die Pastor Brachthäuser schon vor Jahren gegründet hat und deren Vorsitzender er trotz des Weggangs bleiben wird.
Schon im Februar dieses Jahres versicherte Propst Andre´Müller, dass auch die seelsorgerische Arbeit in der Gemeinde durch Diakon Klaus-Peter Unterberg, der schon seit Jahren im Pfarrhaus wohnt, zu hundert Prozent geleistet werden wird.
Auch Gottesdienste in der Kirche werde es weiter in Heilig Kreuz geben, die Gladbecker Pastöre wechseln sich darin ab.