Gladbeck. . Der aus der Türkei stammende Kumpel fährt bis zum letzten Tag auf Prosper Haniel ein. Wir sprachen mit ihm für das Projekt „Mehr als Kohle“.
Wie Muzaffer Subasi sich fühlen wird, wenn er im Dezember zum allerletzten Mal auf Prosper Haniel ausfahren wird – das kann er noch gar nicht einschätzen. „Ich weiß nicht, ob die Tränen laufen werden, oder ob ich fröhlich nach Hause gehen werde.“ Dass er aber gerne unter Tage malocht, als Vorarbeiter in der Herrichtung, das weiß der dreifache Familienvater genau.
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„Ich bin immer mit 90 Prozent Lust zur Schicht gekommen – seit 29 Jahren.“ Schwarzer Kohlenstaub bedeckt die Kleidung des Bergmanns, während er mit der WAZ in der Lampenstube auf Prosper Haniel spricht – frisch ausgefahren von der siebten Sohle in rund 1200 Metern Tiefe, kaputt von der Maloche.
Diese Geschichte gibt's hier als Multimedia-Reportage
Vorstandsmitglied im Moscheeverein Ditib
Damit Subasi, der die Welt unter Tage so sehr liebt, nach dem Aus der letzten Zeche im Ruhrgebiet nicht in ein tiefes Loch fällt, hat der 48-Jährige vorgesorgt. Er engagiert sich für seine Heimatstadt Gladbeck. Hilft bei den jährlichen Wochen der Vielfalt, ist in der IGBCE-Ortsgruppe Mitte aktiv. Der gläubige Moslem ist zudem Vorstandsmitglied im Moscheeverein Ditib.
Auf Prosper Haniel ist er Vertrauensmann, steht zwischen Betriebsrat und der Mannschaft, vermittelt, wenn es Probleme gibt. „Es macht mir Spaß, mich zu engagieren. Ich möchte für die Gesellschaft da sein.“
Regelmäßige Besuche in der Heimat
Muzaffer Subasi kam als Zwölfjähriger mit seinen Eltern und Geschwistern aus der Türkei. Der Vater, der auch schon in seinem Heimatland Bergmann war, fand im Ruhrgebiet Arbeit, begann 1969 auf Hugo in Gelsenkirchen-Buer, holte einige Jahre später seine Familie nach. Zurücklassen musste Muzaffer Subasi seine Großeltern. „Ich konnte sie nie vergessen“, sagt der Bergmann – und auf einmal wird seine Stimme ganz leise.
Etwa alle drei Jahre kehrt er für zwei bis drei Wochen zurück in den Ort seiner Kindheit an der Schwarzmeerküste. Dem Kumpel, der so gerne in seiner neuen Heimat lebt, wird es dort dann aber schnell langweilig. Seine ehemaligen Kameraden aus der Grundschulzeit leben inzwischen in Antalya oder Istanbul. Und: „Wenn man so selten dort ist wie ich, kann man auch keine Kontakte knüpfen.“
Die Bedingungen unter Tage haben sich geändert
Seine Eltern wohnen heute sieben Monate im Jahr in Gladbeck, den Rest der Zeit in der Türkei. „Mein Vater hat Asthma, das Klima an der Schwarzmeerküste bekommt ihm gut.“ Auch die Knie seines Vaters sind kaputt. Kaputt von der Maloche unter Tage. Denn damals, als sein Vater noch unter Tage schuftete, waren die Bedingungen anders als heute. „Die Leistung zählte. Nur wenn die Zeche viel Kohle förderte, konnte sie bestehen bleiben.“
Subasi, der aus einer fremden Welt nach Deutschland kam, fand sich schnell ein. Nach dem Hauptschulabschluss machte er eine Ausbildung zum Bau- und Stahlbauschlosser, arbeitete zunächst bei einer Metallbaufirma. Aber den jungen Mann zog es unter Tage. Wie sein Vater begann er auf Hugo, arbeitete auf Consol in Gelsenkirchen und Fürst Leopold in Dorsten, bis er schließlich in Kirchhellen landete.
Die Kumpel müssen sich aufeinander verlassen können
„Die Hilfsbereitschaft unter den Kumpeln ist unglaublich groß. Die Zeche ist ein richtiger Familienbetrieb.“ Der kleine, kräftige Mann schätzt, dass der Anspruch im Bergbau anders ist als in der freien Wirtschaft. „Wenn im Bergbau jemand in einem bestimmten Bereich nicht zurecht kommt, kann er woanders arbeiten, sei es als Fensterputzer. Gekündigt wird ihm nicht, jeder wird entsprechend seiner Fähigkeiten eingesetzt.“
Und: Wenn unter Tage jemand Schwierigkeiten hat, etwas zu lesen, lesen die Kumpel es ihm vor. „Das ist super.“ Allerdings: Die Bergleute müssen sich auch auf einander verlassen können. Wenn einer einen Fehler macht, kann das für einen anderen Kumpel tödlich enden.
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Fremd gefühlt – das hat sich Subasi nie. Und unter Tage, da sind sowieso alle Männer gleich. „Unter Tage reden wir auch nicht über Religion“, sagt Subasi. Und trotzdem: Der Betriebsrat hatte durchgesetzt, dass ein kleiner Gebetsraum auf der Zeche eingerichtet wird. Beten unter Tage – unmöglich. „Das hätte für die anderen Kumpel Nachteile, die in der Zeit weiterschuften müssten.“ Der 48-Jährige geht abends in die Moschee zum Abendgebet. „Die anderen Gebete kann ich nachholen.“
Jetzt aber geht es für den Bergmann erst einmal in die Kaue. Den schwarzen Kohlenstaub vom Körper herunter waschen.