Bottrop. . Mit Prosper-Haniel schließt im nächsten Jahr die letzte aktive Zeche im Ruhrgebiet. Für Strebmeister Martin Schweiger ist schon bald Schicht.
Meter für Meter rauscht die Dunkelheit vorbei. Hinter den Stahlgittern des Förderkorbes: Die Schwärze des Schachtes. In jeder Sekunde saust der Korb zwölf Meter weiter in die Tiefe. Martin Schweiger drängt sich neben seine Kumpel. Für 80 Bergmänner geht es zur Hauptanfahrtszeit um 11 Uhr unter Tage. Vier Seile, je fünf Zentimeter dick, halten den Korb. Nach wenigen Augenblicken ist die siebte Sohle im Schacht zehn des Bottroper Bergwerks Prosper-Haniel erreicht. 1229 Meter unter der Erde steigt Bergmann um Bergmann aus.
Druck auf den Ohren bei diesen Höhenunterschieden? „Habe ich nur noch, wenn ich erkältet bin. Einmal stark gähnen, dann ist das wieder weg“, sagt Martin Schweiger. Ein echter Bergmann: pragmatisch und so schnell nicht aus der Ruhe zu bringen. Zudem ist es natürlich nicht seine erste Fahrt unter Tage. Aber es ist eine seiner letzten. 2018 schließt Prosper-Haniel und damit das letzte aktive Steinkohlebergwerk im Ruhrgebiet. Für Schweiger ist allerdings schon in wenigen Tagen letzte Schicht im Schacht zehn. Zum 1. September geht er in Frührente. Mit 49 Jahren.
Freude auf den Ruhestand
Er freut sich auf den Ruhestand. Auf die Zeit, in der er stundenlang an seinem Wagen basteln, den alten 5er BMW wieder so richtig aufpolieren kann. „Es reicht jetzt. Bis hierhin habe ich es geschafft, heil zu bleiben und all meine Finger zu behalten.“ Noch nicht einmal der blaue Daumennagel ist von der schweren Maloche unter Tage. „Das ist beim Schrauben am Auto passiert.“
Und doch: Das Gefühl, einer der letzten Bergmänner zu sein: „Groß!“ So richtig registriert hat Schweiger das aber noch nicht. Aufgewachsen ist er zu einer Zeit, in der in seiner Heimat an jeder Ecke eine Zeche stand. „Heute ist alles platt oder höchstens noch ein Förderturm zu sehen. Das ist traurig.“ Auf Prosper-Haniel und auf vielen anderen Zechen zuvor hat er schon gearbeitet seit seiner Ausbildung 1985 auf Schlägel und Eisen in Herten. Er hätte gerne gesehen, dass sein Sohn in seine Fußstapfen tritt. So wie er einst in die Fußstapfen seines Vaters trat. Und in die seines Opas. „Aber Bergmann ist ein aussterbender Beruf.“ Sein Sohn ist jetzt Kfz-Mechaniker.
Im Abbaugebiet ist es laut und heiß
Martin Schweigers Arbeitsplatz aber ist noch für wenige Schichten das Abbaugebiet im Flöz H. Dort, wo es besonders laut und heiß ist. 36 Grad. 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Auf Schweigers Stirn bilden sich Schweißperlen. An seinem Gürtel baumelt ein Unterhemd. Zum Ersatz. Wenn das erste mal wieder durchgeschwitzt ist von der Arbeit im Streb. Auch im Laufe dieser Schicht wird der Bergmann das Hemd wieder wechseln müssen. Drei bis fünf Liter Wasser verlieren die Kumpel unter Tage. Ein zügiger Wind weht durch die Strecke und wirbelt Staub durch die Luft. Nach wenigen Augenblicken ist das Gesicht des Bergmanns schwarz. Schwarz von Kohlenstaub.
Dazu: Ohrenbetäubender Lärm. Das Poltern der Kohle, wenn sie auf das Förderband stürzt. Im Streb schält der Kohlehobel das, was sie schwarzes Gold nennen, von den Wänden. 509 Tonnen bauen der Strebmeister und die Hauer dort unten pro Meter ab. Acht Meter schaffen sie pro Tag – vier pro Schicht. Schweiger ist verantwortlich für den Streb – und für sein Team. Er teilt ein, welche Aufgabe welcher der Kumpel übernimmt.
Die Stirnlampe leuchtet in die Dunkelheit
Jetzt kriecht auch er in den Streb. Nur die kleine Stirnlampe an seinem Helm leuchtet in die Dunkelheit. Kohle, Dreck und Staub um ihn herum. Während der Hobel schält, schaut Martin Schweiger nach, wo der nächste Holzstempel eingebaut werden muss, um den Berg zu halten. Bergmann zu sein, ist für ihn ganz normaler Alltag. „Für mich ist es genauso wie Schwimmen oder Fahrradfahren.“
Dabei macht er gar keinen Sport. Zumindest über Tage nicht. „Ich bin ein fauler Mensch“, sagt Schweiger. So richtig glauben kann es ihm wohl niemand, der einmal mit ihm im Bergwerk war und gesehen hat, wie seine kräftigen Hände dort unten zupacken müssen. Sieben Stunden bleibt Martin Schweiger unter Tage – in dieser ganz eigenen Welt.
Wenn er wieder ausfährt, braucht er ein paar Minuten, um eine Zigarette zu rauchen und mit den Kumpel zu quatschen, mit denen er gerade noch in Dunkelheit, Lärm und Dreck Seite an Seite geschuftet hat. Dieses ganz besondere Gemeinschaftsgefühl gehört für ihn zu einer Kultur des Reviers, die mit dem Ende des Bergbaus bald verloren geht. „Wenn ich noch einmal zur Welt kommen würde“, sagt Martin Schweiger, „würde ich wieder Bergmann werden.“