Gladbeck. Dreharbeiten in Rentfort-Nord sind angelaufen. „Ich habe direkt eine Gänsehaut bekommen, als ich die Szene hier beobachtet habe“, sagt Janine Dall.
- Erste Szenen werden am Originalschauplatz des Banüberfalls gefilmt.
- Anwohner erinnern sich an die dramatischen Stunden im August 1988.
- Das Erste strahlt den Fernsehfilm voraussichtlich 2017 aus.
Die Gladbeckerin (38) streicht sich trotz sommerlicher Temperaturen fröstelnd über die Arme. Ganz am Rand der Absperrung hat sie zurückhaltend zugeschaut, wie Polizeibeamte, darunter schwarz vermummte Spezialeinsatzkräfte, mitten im Wohngebiet zum Geschäftszentrum im Schatten des Hochhausriesen eilen. Eine Ausnahmesituation im Fokus von ebenso eilig in Stellung gebrachten Kameras und blitzenden Fotoapparaten der nur mühsam zurückgehaltenen Presse. Alles keine Realität, sondern Spielszenen beim Drehstart für den ARD-Fernsehfilm „Gladbeck“.
Zurück in die Vergangenheit - zum 16. August 1988
Janine Dall erlebt quasi live und in Farbe, was eigentlich unmöglich ist – eine Zeitreise zurück in ihre Kindheit. Zurück zum 16. August 1988, als hier in Rentfort-Nord mit dem Überfall auf eine Zweigstelle der Deutschen Bank seinen Ausgang nahm, was später die ganze Nation erschütterte: das Gladbecker Geiseldrama, in dessen dramatischem Verlauf drei Menschen starben.
„Jetzt sind diese Bilder aus meiner Kindheit wieder im Kopf“, sagt Janine Dall. Bilder der sich immer weiter zuspitzenden Situation in Gladbeck, die, via Nachrichtensendungen, auch direkt in deutsche Wohnzimmer übertragen wurden. Die ganz persönlichen Bilder der Menschen, die das Drama als Anwohner miterlebten, wie sie jetzt zum Beispiel Janine Dalls Erinnerungen durchlaufen, werden aber nicht im Spielfilm zu sehen sein.
Heute noch Angst
Zehn Jahre alt war die Gladbeckerin damals, die vom Tag vor dem Überfall berichtet. „Kurz vor Geschäftsschluss habe ich mein Erspartes zur Deutschen Bank gebracht, das freundlich von dem Mitarbeiter entgegen genommen wurde, der später das Lösegeld für die Gangster abholen musste.“ Rösner und Degowski hatten den Mann zur Geisel genommen, nachdem sie sich am Morgen vor Schalteröffnung mit Waffen Zutritt verschafften. „Ich habe oft nachgedacht, was gewesen wäre, wenn der Überfall am Tag zuvor im Bankbetrieb erfolgt wäre. Es macht mir heute noch Angst, dass ich dann, wie später die junge Silke Bischoff, die ja erschossen wurde, hätte als Geisel genommen werden können“, so Dall
Mit quäkenden Funkgeräten bewaffnete Teams der Filmcrew sperren derweil wieder die Straße vor dem Geschäftszentrum ab. Passanten müssen warten, denn der nächste Dreh steht an. Eine Kamera-Flugdrohne steigt auf, sie kreist über den SEK-Schauspielern, die mit Waffen auf dem Flachdach gegenüber der längst geschlossenen und für die Aufnahmen als Kulisse reaktivierten Bankfiliale in Stellung gehen.
„Auf den Privatgaragen rings um das Geschäftszentrum lagen damals auch überall Scharfschütze, wo sind die denn?“, fragt Barbara Stefanowski (56). Sie wohnt immer noch im Mehrfamilienhaus direkt gegenüber dem Geschäftszentrum. Ihr Balkon wurde damals zum Logenplatz, „bis uns ein Scharfschütze deutlich aufgefordert hat da wegzugehen, damit uns nichts passiert.“
"Meine Schwester Maike ist als Statistin dabei"
Vergangene Tatsachen, die heute nicht im Blickwinkel der Spielfilmkameras sind. Schüsse sollen auch erst am nächsten Tag fallen, mit Platzpatronen – versteht sich. Jetzt steht erst mal die Szene im Drehplan, wie einst Menschen aus den Büros über der Bank durch Fenster mit Leitern evakuiert wurden. „Meine Schwester Maike ist als Statistin dabei“, erzählt Hanna Theelke (19), die sich gleich mit der 16-Jährigen treffen möchte, die wie alle Komparsen Mode der 80er überstreifen musste. Ein Treff zur Mittagspause, denn dann geht’s von der Zeitreise kurz zurück in die Realität.
Für ihre Generation, die damals noch gar nicht geboren war, „ist die Gladbecker Geiselnahme überhaupt kein Thema mehr. Viele kenne die gar nicht“, verrät Hanna Theelke. Daran zu erinnern, sei so nicht schlecht. Sie selbst habe über die Eltern schon davon gewusst. Ein Familienthema vielleicht auch wegen des Berufs des Vaters: „Er arbeitet bei der Deutschen Bank.“
„Das Empfinden für Moral verloren“
Warum erneut ein Spielfilm das Gladbecker Geiseldrama zum Thema macht, begründen die Filmemacher am Montag in der Presseerklärung zum Drehstart: „Der Zweiteiler Gladbeck schildert ein Verbrechen, das sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat, und geht der Frage nach, welche Mechanismen wirken müssen, damit Menschen das Empfinden für moralische Integrität, Recht und Gesetz verlieren“.
Ein Stück unrühmlicher deutscher Geschichte, widergespiegelt in einem Fernsehfilm für Das Erste, um das 54 Stunden andauernde spektakuläre Geschehen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln zu erzählen, das in zweierlei Hinsicht zur Zäsur wurde. Einerseits aufgrund distanzloser Presseberichterstattung, bei der Journalisten sich den Tätern Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner andienten, inklusive ausgiebigem Interview der Gangster mitten in der belebten Kölner Innenstadt. Andererseits aufgrund mehrfachen Versagens der überforderten Polizei, deren unzulänglichen Kommandostrukturen bei der zweitägigen Flucht der Geiselnehmer über Landes- und Staatsgrenzen hinweg deutlich wurden.
Ulrich Noethen und Martin Wuttke spielen mit
Ein aufwändig inszeniertes Drama mit rund 100köpfiger Filmcrew, Haupt- und Nebendarstellern und insgesamt etwa 1300 Komparsen, die an unterschiedlichen Drehorten darunter Köln, Bremen, Duisburg, Düsseldorf sowie dem Gladbecker Originalschauplatz das Geschehen nachstellen. Nach vorherigem Stillschweigen nennen die Filmemacher jetzt auch einige der Schauspieler, die an der Produktion mitwirken. Darunter Nachwuchs wie Zsa Zsa Inci Bürkle („Die Wilden Hühner“), Sascha A. Gersak (5 Jahre Leben), Arnd Klawitter (Mord mit Aussicht, Dr. Klein), Alexander Scheer (Das wilde Leben, Carlos -Der Schakal) und bekannte Größen wie Ulrich Noethen (Comedian Harmonists, Der Untergang, Das Tagebuch der Anne Frank) oder Martin Wuttke (Inglorius Basterds, A Most Wanted Man, Homeland).
„Gladbeck“ ist eine Produktion von Ziegler Film in Koproduktion mit ARD Degeto und Radio Bremen für Das Erste – und wird voraussichtlich 2017 ausgestrahlt.