Gladbeck. . Das Beispiel zeigt, wie wichtig gegenseitiges Verständnis ist. Gladbecker Familie leistete ohne zu zögern Hilfe und erleichtert die Integration.
„Jetzt ist es soweit, jetzt haben wir die Flüchtlinge oben im Haus“, habe eine Nachbarin sie im Flur Ende Oktober angesprochen, erzählt Marlies Luft. Das habe auch bei ihr zunächst etwas Unbehagen hervorgerufen, aus Unsicherheit, was sie da Fremdes erwarte, räumt die 70-Jährige ein, die in Brauck in einem Mehrfamilienhaus zur Miete wohnt.
Diese Angst ist inzwischen verflogen, denn aus anfänglicher Fremdheit ist zwischenmenschliche Vertrautheit geworden. „Das sind doch arme Menschen, die unsere Hilfe brauchen.“ Die sieben Flüchtlinge im Haus zu unterstützen, ist mittlerweile zur Familienangelegenheit geworden, da die Tochter sich kräftig mitkümmert. Ein schönes Beispiel gelebter Nachbarschafts- und Flüchtlingshilfe.
"Dass es irgendwie um Licht geht, konnte ich verstehen"
Beim Erstkontakt im Flur habe sie einer der Männer, die neu eingezogen waren, angesprochen und um etwas gebeten. „Dass es irgendwie um Licht geht, konnte ich verstehen“, so die Seniorin, die kein Englisch spricht. Um Genaueres zu verstehen, sei sie dem Mann in die Wohnung gefolgt.
„Da war ich geschockt. Sein Zimmer war bis auf eine Matratze am Boden völlig leer, kein Tisch, kein Stuhl und das nackte Deckenkabel hing ohne Fassung von der Decke.“ Die Seniorin half mit einer Tischlampe aus, damit der Mann, der sich als Mohammed vorstellte, sich am Abend im dunklen Raum orientieren konnte. „Außerdem habe ich sofort meine Tochter angerufen, die Englisch spricht, und ihr gesagt, dass wir helfen müssen, da auch in der Küche Möbel fehlten und der Kühlschrank leer war.“
Möbel fehlten
Heike Becker und ihr Mann begannen sofort zu handeln. „Wir haben aus dem Keller einen Tisch und Gartenstühle geholt, auch Handtücher und Körperpflegeutensilien und einige Lebensmittel fürs Abendbrot eingepackt“, so die 50-Jährige. Die Freude der Männer sei groß gewesen, die sich immer wieder herzlich bedankt und mit Blick auf ihre Mutter gesagt hätten: „She is a very good mum - sie ist eine sehr gute Mama.“
Die Stadtverwaltung bestätigt auf Anfrage der WAZ, dass zur Grundausstattung einer zugeteilten Wohnung Betten, Matratzen, Küchenspüle, Herd, Kühlschrank, Tische, Stühle, Spinde und Beleuchtungsmittel gehören. Aufgrund der hohen Zuteilungszahlen sei es zu Verzögerungen bei der Ausstattung gekommen, was schnellstens nachgeholt werde, so Tim Deffte.
Mit dem Bruder im Schlauchboot übers Meer geflüchtet
Marlies Luft und ihre Tochter sind derweil zu Vertrauenspersonen der Flüchtlinge bei den Schritten in die Eigenständigkeit jenseits der Erstaufnahmestelle geworden. Auch für Nergis (40), die mit ihrem Bruder Mohammed im Schlauchboot übers Meer flüchtete und in der städtischen Asylbewerberunterkunft An der Boy untergebracht ist. Jeden Tag besucht die Schwester den Bruder, der psychisch angeschlagen ist, weil seine Gedanken ständig bei seiner Frau, der Tochter (5) und dem Sohn (3) sind, die im umkämpften Syrien zurückblieben. Beide wollen schnell deutsch lernen, eine Arbeit finden und soviel Geld verdienen, dass sie die Familie auch in Sicherheit nach Deutschland holen können.
Heike Becker müht sich derweil, die Asylbewerber mit dem deutschen Alltag vertraut zu machen. „Zum Beispiel, dass im Haus zum Wochenende das Treppenhaus gereinigt wird; dass Papier, Wertstoffe und Restmüll getrennt werden – und wo draußen vor dem Haus die Behälter dafür stehen.“ Gesammelte Pfandflaschen werden die neuen Nachbarn indes nicht selbst einlösen. Warum, erklärt Nergis: „Die wollen wir Menschen schenken, die noch weniger haben als wir.“
In der Heimatstadt explodieren Bomben
Warum sie ihre Heimat und Familie verlassen und sich auf die Flucht nach Deutschland begeben haben, versuchen die Geschwister Mohammed und Nergis zu erklären. „Wir kommen aus einem zerrissenen Land, in dem seit Jahren Bürgerkrieg herrscht und in dem man um seine Leben fürchten muss“, berichtet Mohammed.
Beide stammen aus der Stadt Qamischli im Norden Syriens an der türkischen Grenze. „Die Stadt wird in verschiedenen Stadtteilen von kurdischen und christlichen Milizen gehalten. Die Regierungstruppen kontrollieren den Flughafen und die Hauptstraßen, aber außerhalb der Stadt hat der Islamische Staat das Sagen“, so Nergis.
Dessen radikalisierte Anhänger würden immer wieder in die Stadt infiltrieren und Terror verbreiten. Ihren Beruf als Lehrerin auszuüben, daran sei so nicht zu denken. Man traue sich nur noch für die nötigsten Dinge auf die Straße, sagt Nergis „Zweimal ist in meiner unmittelbaren Nähe eine Bombe explodiert, die viele Tote gefordert hat. Ich hatte Glück, jeweils etwa 100 bis 200 Meter vom Tatort entfernt zu sein.“
Vor dem IS-Terror seien viele Menschen nach Qamischli geflüchtet, um die sie sich vor ihrer eigenen Flucht nach Deutschland als Helferin des Roten Halbmondes (ähnl. Rotes Kreuz) gekümmert habe.