Gladbeck. Flüchtlinge in Gladbeck sind ganz damit beschäftigt, in der Fremde neuen Halt zu finden. Die Bilder in den Medien erinnern viele an die eigene Flucht.
Verzweifelte Menschen einerseits: Bilder von Männern, Frauen, Kindern, die sich in großer Zahl durch Stacheldraht zwängen, oder in heillos überfüllten Schlauchbooten die illegale Reise über das Mittelmeer wagen und so oft elend umkommen. Und andererseits die Diskussion in Fernsehkanälen und Zeitungen, ob und wie Deutschland die Schar der Flüchtlinge bewältigen kann und soll.
Mohamed ist die Flucht bereits vor drei Monaten geglückt. Er sieht die aktuellen Bilder in den Medien, „ich verstehe aber leider nicht genau, worum es geht“, entschuldigt sich der junge Mann in gebrochenem Englisch. Darum bemühe er sich, die fremde Sprache zu lernen.
"Ich komme aus Somalia"
Die große Weltpolitik wird aber sicher auch zur Nebensache, wenn man ganz damit beschäftigt ist, in der Fremde neuen Halt zu finden. Nicht nur Mohamed hat genug damit zu tun. Mit einer Gruppe von zehn weiteren Flüchtlingen büffelt der 25-Jährige bei der Flüchtlingshilfe im Boni-Haus deutsche Sätze wie: „Ich komme aus Somalia“.
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Plötzlich gesteht der junge Mann mit Tränen in den Augen, dass ihn die Bilder der toten Kinder in den Medien aber wieder ganz verzweifelt machen. „Dann denke ich an die drei Kinder meines Bruders, die jetzt ganz alleine sind.“
Der große Bruder wie Vater und Mutter seien von der radikal-islamischen Al-Shabaab getötet worden. Er selbst habe schließlich einem Schleuser vertraut, der ihm ein sicheres, gutes und freies Leben in Europa versprochen habe. Dafür habe er den ihm verbliebenen Reichtum der Familie abgegeben: „Zehn Kamele, 50 Schafe und 50 Ziegen“, zählt Mohamed auf. Mit einem Schleuser sei er im Dreitagesmarsch dann bis nach Äthiopien gelangt, von dort ging es mit dem Flugzeug nach Italien und mit dem Bus weiter bis nach Frankfurt.
"Dann sitze ich da und muss schrecklich weinen"
Statt ein unbeschwertes Leben zu führen bangt der 25-Jährige nun in Gladbeck seit drei Monaten um das Ergebnis seines Asylantrags. Zudem drückt die Schuld, die drei Kinder des Bruders, für die sich der Somalier verantwortlich fühlt, einem ungewissen Schicksal überlassen zu haben. Ganz plötzlich überwältige ihn immer wieder tiefe Traurigkeit, sagt Mohamed, „dann sitze ich da und muss schrecklich weinen“.
Jeder im Rund der Deutschkurs-Flüchtlinge, die mit wenigen Habseligkeiten in Gladbeck ankamen, trägt die Zentnerlast des persönlichen Fluchttraumas auf den Schultern – und das sich schuldig fühlen, weil Familie zurück blieb.
Er könne es verstehen, wenn keine Flüchtlinge mehr aufgenommen werden, „Deutschland hat ja schon so viel geholfen“, beschämt Mohamed, und verrät, wovon er träumt: „Erfolgreicher Sprinter über 100 Meter zu werden.“ Wie jüngst die umjubelten Olympia-Stars im Fernsehen. Wenn Mohamed glücklich bis zur Erschöpfung läuft, ist es wohl so, dass seine Sorgen auch ein Stückweit zurückbleiben.
Flüchtlingshilfe ganz nah dran an den Menschen
Lis Hühnerbach ist eine der engagierten Ehrenamtlichen der evangelischen Flüchtlingshilfe, die ganz nah dran sind an den Menschen, die auf eine sichere Zukunft in Deutschland hoffen. „Als vergangenen November immer mehr verzweifelte Menschen nach Deutschland flüchteten und auch in Gladbeck ankamen, da war mir klar, ich will etwas tun, um zu helfen“, erzählt die 66-Jährige.
Zunächst betreute die gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau zwei junge Männer aus Afrika, „bei den Wegen zum Amt, der Wohnungssuche, der Beschaffung von Möbeln“, zählt sie auf. Dann besuchte sie eine vom Kreis angebotene Schulung und vermittelt nun ihren Schützlingen die Grundlagen der deutschen Sprache. „Es ist immer wieder berührend wie wissbegierig die jungen Männer aus Syrien, Somalia, Afghanistan oder Eritrea sind“, berichtet die Flüchtlingshelferin. Alle seien fleißig, „keiner vergisst die Hausaufgaben“ und viele würden sogar mehrere Deutschkurse besuchen, um schneller beim Lernen voran zu kommen. Alle mögen die freundliche Lehrerin, so dass es häufig vorkommt, dass ihr in der Stadt von der anderen Straßenseite ein freundlich winkender Schüler stolz zuruft: „Hallo Lis, wie geht’s?“