Gelsenkirchen. . Durch den Dokumentar-Film „Wer ist mein Nächster“ ist am vergangenen Wochenende eine ungewöhnliche Begegnung von Profiboxer Francesco Pianeta, dem amtierenden Europameister im Schwergewicht, und 20 Jugendlichen aus Gelsenkirchen zustande gekommen.

„Mir die Freiheit zu nehmen, war die größte Strafe meines Lebens“ - mit einem überraschenden Geständnis zog Box-Europameister Francesco Pianeta am Samstag 20 junge Zuhörer in seinen Bann. Im Rahmen eines Anti-Gewalttrainings war der 30-jährige Gelsenkirchener im M.A.S. Fight Club in Schalke zu Gast. Zwei Wochen habe er damals im Jugendarrest verbringen müssen. Eine Geschichte, die bei den Jugendlichen spürbar Eindruck hinterließ.

Nicht immer stand Francesco Pianeta, einer der erfolgreichsten Profiboxer Deutschlands, auf der Sonnenseite des Lebens. Im sozialen Brennpunkt aufgewachsen, hatte er häufig das, was man landläufig schlechten Umgang nennt. „Von machen Leuten weiß ich gar nicht, ob die noch leben“, erzählt Pianeta am Ende eines gut einstündigen Boxtrainings, das er gemeinsam mit den Trainern des Fightclubs an der Gießerstraße durchführte. In einem Gesprächskreis im Boxring, moderiert von RTL-Moderator und Boxsport-Experte Andreas von Thien, tauschten sich die Teilnehmer abschließend über ihre Gewalterfahrungen aus.

Spannende Begegnungen vor der Kamera

Zustande gekommen ist die ungewöhnliche Begegnung mit den Box-Promis durch das Doku-Film-Projekt „Wer ist mein Nächster“, das vom städtischen Referat für Erziehung und Bildung getragen wird und von Autor Reimund Neufeld ins Leben gerufen wurde. 20 Jugendliche sind in den letzten Monaten auf Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen getroffen. Alle Gespräche wurden mit der Kamera begleitet. Am Samstag, 29. Oktober, feiert der erste Teil des Films im Schloss Horst Premiere. Interessierte Bürger sind ab 18 Uhr eingeladen. Das pädagogische Boxprogramm mit Klitschko-Herausforderer Pianeta wurde bereits für den zweiten Teil des Doku-Projekts gefilmt.

Spannende Begegnungen gab es im ersten Teil: Die Jugendlichen interviewten unter anderem einen ehemaligen Heroinsüchtigen, sprachen mit Judith Neuwald-Tasbach, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, trafen die geistig behinderte und blinde Silvia oder begegneten dem Oberbürgermeister. Auch Schauspieler Markus Kiefer, ein Kindersoldat aus dem zweiten Weltkrieg oder ein bekennender Messi standen für Gespräche bereit. „Am meisten beeindruckt hat mich das Treffen mit dem Rapper Fard“, berichtet Enes Arslankaya. Gemeinsam mit seinem Kumpel Robin Weishaupt besucht der 18-Jährige regelmäßig das Jugendzentrum an der Buerer Straße . Über die Einrichtung haben die Beiden vom Projekt erfahren, das die Schlagworte „Inklusion und Toleranz“ für die Jugendlichen ganz praktisch mit Inhalten füllt.

Für das Boxtraining unterbrach Pianeta die heiße Trainingsphase vor seinem Titelverteidigungskampf am 8. November. „Bei so etwas bin ich immer sofort dabei“, so der WBO-Europameister im Schwergewicht, der so unterstreicht, dass er seine Wurzeln nicht vergessen hat.

„Wir stehen aber noch ganz am Anfang“

Gemeinsam mit Boxexperte Andreas von Thien präsentierte Autor Reimund Neufeld, der bei der Caritas pädagogisch und pflegerisch aktiv ist, das Präventionsprojekt „Gefangene helfen Jugendlichen“. Der Modellversuch aus Hamburg richtet sich an Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren, die am Rande einer kriminellen Laufbahn stehen oder bereits straffällig geworden sind. Neufeld will das Projekt nun an Gelsenkirchener Schulen etablieren und ein Standbein im Ruhrgebiet aufbauen. Zunächst soll das Projekt an den Gesamtschulen in Horst und Ückendorf, sowie an der Hauptschule Schwalbenstraße umgesetzt werden. Neufeld: „Es geht aber um alle Schulen und das heißt nicht, dass die genannten Schulen es besonders nötig hätten.“ Auch am Max-Planck-Gymnasium will er das Projekt vorstellen. „Wir stehen aber noch ganz am Anfang“, so Neufeld.

Der Grundgedanke ist, gefährdete Jugendliche aller Nationalitäten durch Konfrontation mit Knast und Gefangenen von einer kriminellen Laufbahn abzubringen. Unterstützung bekommt Neufeld von Sozialpädagoge Christo Machtemes, der selbst eine kriminelle Karriere hinter sich hat. Schlechte Leistungen in der Schule und die falschen Freunde hätten ihn damals auf die schiefe Bahn gebracht. Heute kämpft er selbst um jeden Jugendlichen und sagt: „Sanktionen und Selbstdisziplin haben mich zurück gebracht.“