Gelsenkirchen. Der Schotte David Crowe lebt als Orchestermusiker seit 36 Jahren in Westfalen. Über Schottlands Unabhängigkeit darf er nicht abstimmen – wäre aber dagegen: „Es ist zu riskant.“ Der nur noch wenige Jahre währende Öl-Boom allein kann Schottlands Zukunft nicht sichern, meint der gebürtige Edinburgher.
Panik ist ein schlechter Ratgeber, weiß David Crowe. „Mir missfällt die Panik der Regierung in Westminster“, sagt der einzige Schotte in den Reihen der 123 Musiker zählenden Neuen Philharmonie Westfalen. Er ahnt: Die Schotten werden es nicht mögen, dass man ihnen vorschreiben will, was sie zu tun haben – und was für sie vernünftig wäre. Sie würden dann aus Trotz für ihre Unabhängigkeit stimmen? „Exactly“, sagt David Crowe.
Der seit 36 Jahren in Westfalen heimische Violinist darf als „Exilant“ nicht selbst abstimmen beim Schicksals-Votum seines Landes. Wenn er dürfte, wäre er wohl für die 307 Jahre alte Union mit England, aus der 1707 Großbritannien wurde: „Alle in meiner Familie sagen nein.“ Warum „Nein“ zur Unabhängigkeit? „Es ist zu riskant“, sagt David Crowe. „Mein Herz würde mit ja stimmen. Aber man sollte mit dem Verstand entscheiden – nicht nur mit dem Herzen.“
Zu klein – trotz des Öl-Booms
Schottland, fürchtet der Schotte, sei zu klein, um als unabhängiger Staat zu bestehen – vor allem mit Blick auf die Wirtschaft. „Im Moment gibt es diesen Boom“, sei vor allem in der jüngeren Generation die nationale Begeisterung groß. Doch das Nordsee-Öl, von dem viele als nationalem Schatz sprechen, fließe nicht unerschöpflich. Schottland sei bereits hoch verschuldet.
Als Ehemann einer Engländerin und Vater von erwachsenen Kindern, die sich „wie Deutsche“ fühlen, sähe David Crowe einen großen Fehler darin, dass sich Nationen „entlang ihrer ethnischen Zughörigkeit aufspalten – so wie im Balkan“. Er selbst besucht Schottland zwar mindestens dreimal im Jahr, ging aber schon als 13-jähriger Schüler nach England, studierte an der Royal Academy of Music in London und begann seine Laufbahn als Orchestermusiker bei der BBC. Zur Neuen Philharmonie Westfalen kam der Violinist nach zwei Jahrzehnten bei der Marler Philharmonia Hungarica.
Für maximale Fast-Unabhängigkeit
„Ich besitze noch nicht einmal einen Kilt“, sagt David Crowe lachend. Sein Wunschergebnis für die Schicksals-Wahl am Donnerstag? „Ein ganz knappes Nein“. Warum? Dann müsste David Cameron, der britische Regierungschef mit dem schottischen Namen, seinen Nordstaatlern weitere Zugeständnisse machen: also eine Fast-Unabhängigkeit. „Maximum Devolution“, so der englische Slogan, steht als Option nicht auf den Stimmzetteln. Doch einer solchen Freistaat-Zukunft könnte Schottland durch ein knappes „No“ nahe kommen.
Eine uralte Nation hatte sich verspekuliert
Verglichen mit der uralten Nation Schottland, meint David Crowe ironisch, seien die EU-Gründerstaaten Deutschland und Italien „moderne Zusammenfügungen“, erst rund 150 Jahre jung.
Die ältesten schottischen Königreiche aber sind aus Zeiten der Völkerwanderung vor 1500 Jahren überliefert: „Dal Riada“ war ein kleines „vereinigtes Königreich“ aus Nordirland und der schottischen Westküste, „Alba“ war der größere Ost-Teil von den Highlands bis zur Nordseeküste.
Für die nun 307-jährige Union mit England stimmte das schottische Parlament, nachdem sich fast der gesamte Landadel mit Aktien einer dubiosen Handelskolonie in Panama übel verspekuliert hatte: Die finanziellen Argumente wogen damals stärker als die alte Clan-Herrlichkeit.
Wirtschaftlich mögen die 5,3 Millionen Schotten von den 53 Millionen Engländern abhängen: Doch in seiner Fürsorge gleicht der hohe Norden der Britischen Insel keineswegs „Cool Britannia“, das seinen früheren Sozialstaat rüde demontiert hatte, sondern viel eher Skandinavien. „Wir Schotten wollen, dass man sich um die Alten und Schwachen kümmert“, betont David Crowe. Wie in Edinburgh für seine 90-jährige Mutter gesorgt werde, beschreibt er als beispielhaft: Dank der täglichen Hilfe kann sie weiter in ihrer eigenen Wohnung leben.
Die Heimatstadt zählt natürlich zu den liebsten Zielen der Crowe’schen Schottland-Reisen, vor allem während des Edinburgh-Festivals. Doch an erster Stelle nennt der Musiker die raue Schönheit der Atlantik-Insel Islay (gesprochen „Aila“), genannt „Queen of the Hebrides“. Soviel Monarchie muss – immer noch – sein.