Gelsenkirchen. Der Bildungsausschuss hat seit der Kommunalwahl eine neue Vorsitzende, die SPD im Ausschuss einen neuen Sprecher. Die WAZ sprach mit Martina Rudowitz (SPD) und Ulrich Jacob über ihre Schwerpunkte für die nächsten Jahren, die größten Baustellen und den Dialog mit der Opposition.
Martina Rudowitz (56, SPD) ist nicht nur neue erste Bürgermeisterin. Sie übernimmt in der neuen Wahlperiode auch den Vorsitz im Bildungsausschuss, den bislang die CDU mit Markus Karl besetzte. Sprecher der Mehrheitsfraktion SPD im Ausschuss ist nun Ulrich Jacob (34). Er löst Barbara Filthaus ab, die nicht mehr als Stadtverordnete angetreten war, dem Ausschuss als sachkundige Bürerin aber weiter angehört Er ist Gesamtschullehrer, sie Tagesmutter in einer Großpflegestelle. WAZ-Redakteurin Sibylle Raudies befragte die beiden nach ihren Plänen für die Bildungslandschaft in Gelsenkirchen. Die erste Sitzung des Gremiums ist übrigens am 4. September.
Frau Rudowitz, seit wann arbeiten Sie als Tagesmutter? Hatte Ihr Berufswechsel mit dem Bedarf an U3-Plätzen zu tun?
Martina Rudowitz: Ja, hatte er. Ich habe im vergangenen Jahr die Basisqualifikation als Tagesmutter begonnen, bilde mich weiter und werde in diesem Jahr die Prüfungen für das überregional gültige Zertifikat ablegen.
Hat die Stadt bei all dem Aufwand für die Kleinsten noch die Ü3-Kinder genug im Blick?
Rudowitz: Wir haben eine bedarfsdeckende Ü3-Versorgung. Auch die Qualität muss man im Blick behalten und weiterentwickeln. Die vielen Preise, die wir für unsere Kita-Arbeit bekommen zeigen, dass die Stadt es gut macht.
Wo ist der Handlungsbedarf am größten?
Rudowitz: Bei den Kindern aus Südosteuropa, die kaum wissen, was Schulalltag ist. Die wir von null auf 100 bringen müssen, weil selbst ältere unter ihnen oft feinmotorisch weit hinter Kita-Kindern zurück sind. Unser System ist gut aufgestellt, das Handlungskonzept wird ständig aktualisiert. Aber wir brauchen mehr EU-Hilfen und mehr Lehrer. Etwa an der Hauptschule am Dahlbusch gibt es Internationale Förderklassen (IFÖ) und Alphabetisierungsklassen, aber die Kapazitäten sind dort, wie an vielen Schulen im Stadtsüden, ausgeschöpft. Wir brauchen im ganzen Stadtgebiet weitere IFÖ-Klassen.
Jacob: Neben anderen Faktoren hat auch die Zuwanderung eine Umsetzung der Schulentwicklungsplanung blockiert. Gut, dass wir die Hauptschulen noch haben. Die fangen viel auf und leisten dabei sehr gute Arbeit.
Apropos Schulentwicklungsplan: Wann wird er für die weiterführenden Schulen endlich feststehen?
Rudowitz: In dieser Wahlperiode, das ist unser Ziel. Aber die nicht planbaren Zuwandererkinder haben tatsächlich einiges verändert. Wir müssen in Ruhe miteinander reden, möglichst auch wieder interfraktionell.
Jacob: Im Vordergrund steht der Elternwille. Die Gesamtschulen müssen jedes Jahr über 200 Kinder abweisen. Ja, es gibt laut Elternbefragungen auch den starken Wunsch nach Gymnasien, aber wenn es dann um die konkrete Anmeldung geht, entscheiden sich sehr viele doch für die Gesamtschule. Aus unserer Sicht sind die Gymnasien gesichert, der großen Nachfrage nach Gesamtschulplätzen müssen wir noch gerecht werden.
Nur die Gesamtschule Ückendorf bleibt ständig unterbesetzt…
Rudowitz: Das ist natürlich ein Thema. Die Schule leistet gute Arbeit, führt viele Schüler in die Oberstufe, die keine entsprechende Grundschulempfehlung hatten, und sie betreibt vorbildliche Berufsvorbereitung. Dennoch wird sie weiterhin von zu wenigen Schülern angewählt.
Jacob: Die GSÜ versteht sich als Stadtteilschule, aber genau das ist sie nicht. Die meisten Schüler kommen eben nicht aus Ückendorf. Wir werden uns die Fortschritte seit dem Projektbeirat 2012/13 genau ansehen und dann gemeinsam mit allen Beteiligten – einschließlich der neuen Schulleitung – überlegen, wie die Schule nachhaltig gestärkt werden kann.
Was ist das wichtigste Anliegen ihrer Fraktion im Bereich Bildung aktuell?
Rudowitz: Die Inklusion. Wir müssen engen Kontakt halten mit den Schulen, um mitzubekommen, wenn da etwas schief läuft. Es gibt Kinder, die sind im Regelsystem überfordert, auch Lehrer können überfordert sein. Es müssen mehr Fachkräfte und Integrationshelfer ins Boot.
Jacob: Wichtig ist, dass Sonderpädagogen auslaufender Förderschulen hier vor Ort an Regelschulen kommen. Nicht jede einzelne Schule wird künftig inklusiv arbeiten, aber pro Schulform mindestens eine südlich und eine nördlich des Kanals. Wir behalten auch die Idee im Hinterkopf, Regelschüler an bisherigen Förderschulen lernen zu lassen.
„Lehrer brauchen einen verlässlichen Rahmen für ihre Arbeit“
Es gibt ja viele Projekte der Landesregierung, von Schulsozialarbeit bis zum Gestalten der Übergänge, zudem viele Modellversuche. Werden die Schulen überfordert?
Jacob: Manchmal schon. Auch wenn sich natürlich die gesellschaftlichen Anforderungen an Schulen verändern, brauchen Lehrer einen verlässlichen Rahmen. Ihre Motivation macht wichtige Projekte erst erfolgreich.
Was ist das Wesentliche beim Thema Bildung für Sie?
Rudowitz: Dass wir nicht nachlassen dürfen, die Bildungsbeteiligung zu erhöhen. Dass wir jedem Kind ermöglichen, einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung zu erlangen, die ihm erlauben, später ein gutes Leben zu führen.
Jacob: Gleiche Bildungschancen, unabhängig vom Geldbeutel oder der Herkunft der Eltern. Bildung fängt vor der Schule an und hört danach nicht auf. Da sind auch unsere außerschulischen Netzwerke sehr wichtig.