Gelsenkirchen. . Der Stadtteil ganz im Süden soll zum „Kreativ Quartier“ werden. Was sich hinter den Kulissen tut, und welche Schätze darauf warten, geborgen zu werden, haben Stadtplaner Dr. Siegbert Panteleit und Susanne Becker von der Wirtschaftsförderung der Stadt Gelsenkirchen der WAZ bei einem Rundgang gezeigt

Früher stand hier ein alter Futtermittelbetrieb, jetzt klafft am Cramerweg kurz vor der Einmündung zur Munscheidstraße ein großes Loch. Das lenkt den Blick auf eine eher unscheinbare Mauer. Es braucht schon viel Phantasie und Idealismus, um hierin etwas ganz Besonderes zu sehen.

Dr. Siegbert Panteleit, Stadtplaner und in Gelsenkirchen Kreativquartier-Entwickler, bringt beides mit. „Das ist die neue Stadtmauer von Ückendorf“, sagt er. Und meint das richtig ernst. „Lachen Sie nicht! Wenn wir uns in ein paar Jahren hier wieder treffen, dann werden Sie diese Mauer mit ganz anderen Augen sehen“, ist der Planer überzeugt – und gerät sofort ins Schwärmen. Allerdings nicht nur über die Mauer, sondern auch über das Viertel, was dahinter liegt.

Der Hamam im Hinterhof

„Kreativquartier Ückendorf“, diese Vision schwebt wie ein unsichtbarer Schriftzug über diesen Stadtteil, es gibt die „Galeriemeile“, schmucke Info-Seiten zu den Vorzeigeimmobilien des Stadtteils im Internet und Führungen, die die verborgenen Schätze hier zeigen – in der Hoffnung, dass eines Tages jemand kommt, um sie zu bergen.

Zwei, die die Rohdiamanten von Ückendorf kennen wie kaum jemand sonst, sind Susanne Becker von der städtischen Wirtschaftförderung und der Bueraner Siegbert Panteleit, der als selbstständiger Projektentwickler bereits das Phoenix-See-Projekt in Dortmund mitplante und derzeit bundesweit unterwegs ist, um Städten und Gemeinden neue Ideen mit auf den Weg zu geben. Ganz besonders liegt dem gebürtigen Horster allerdings Gelsenkirchen am Herzen.

Sein großer Vorteil ist, dass er vor dem inneren Auge Dinge sieht, die anderen (noch) verborgen bleiben. So zeigt er beim Rundgang durch das Viertel nicht auf die vielen Leerstände, sondern auf die Prachtbauten, die hier im Dornröschenschlaf liegen: „Dieses Haus hier ist ein altes Hotel und war mal erstes Haus am Platze, als es das alte Stahlwerk noch gab“, sagt Siegbert Panteleit und lässt den Blick an der Ecke, wo die Bochumer Straße und die Bergmannstraße aufeinandertreffen, nach oben schweifen.

Zeit, dass jemand zum „Abstauben“ vorbei schaut

Schräg gegenüber biegt er mit Susanne Becker ein in einen Hinterhof an der Bergmannstraße, und beide öffnen die Türe zur ehemaligen „California Fitness Company“. Wer über die Schwelle schreitet, findet sich schnell in einer ganz anderen Welt wieder: Der Duschbereich des Fitnessstudios wurde einst umgewandelt in einen echten Hamam, doch auch der ist schon wieder Geschichte – bis sich vielleicht jemand findet, der neues Leben einhaucht.

Auch der weitläufige Spiegelsaal im Obergeschoss bietet viel Platz für Ideen. „Früher wurde das hier die Eisenschmiede genannt“, erinnert sich Panteleit an glanzvollere Zeiten der Immobilie, als „Bodybuilding“ noch boomte.

Jetzt sammelt sich der Staub auf den Fensterbänken – Zeit, dass jemand zum „Abstauben“ vorbei schaut. So wie es ein paar Meter weiter in der alten „Kutschenwerkstatt“ bereits geschehen ist: Dem Eigentümer mit Wurzeln in Aserbaidschan liegt Ückendorf so sehr am Herzen, dass er hier zusammen mit einem Kollegen bereits ein kleines Heimatmuseum eingerichtet hat.

Und in der „Kutschenwerkstatt“ treffen sich jetzt die kreativen Köpfe gerne, um neue Pläne zu schmieden. Für den Stadtteil natürlich. . .

Die Liebeserklärung an einen ganz besonderen Stadtteil

Neuer Glanz für die alte Apotheke an der Bochumer Straße 74. „Hier hat das Modelabel URB Clothing vor Kurzem seinen Showroom eröffnet“, erzählt Siegbert Panteleit – und fügt nicht ohne Stolz hinzu: „Eigentlich wollten sich die beiden Gelsenkirchener Modemacherinnen in Richtung Seoul orientieren, denn ihre ausgefallene Mode findet vor allem auf dem asiatischen Markt reißenden Absatz. Aber als sie dann hier das leerstehende Ladenlokal der alten Apotheke gesehen haben, waren sie so angetan, dass sie gleich hier geblieben sind.“

Kühl und modern wirkt die Einrichtung jetzt. Im September werden die beiden Schwestern Johanna (Joe) und Sara Urbais, die kreativen Köpfe hinter URB Clothing, in der alten Kutschenwerkstatt wieder ihre neuesten Kreationen zeigen.

In einem youtube-Video, das das Künstlerkonglomerat „Insane Urban Cowboys“ ins Internet gestellt hat, schwärmen die beiden jungen Modedesignerinnen, die sich vor allem mit ihren Latex-Strumpfhosen „melting tights“ in der internationalen Modeszene einen Namen geschaffen haben, so: „Ückendorf hat das Potenzial, wie Kreuzberg in Berlin zu sein – da hier diese Kreativität einfach noch im Underground schlummert.“

Ihre ganz besondere Liebeserklärung an Ückendorf klingt so: „Das ist hier so assig, dass es schon wieder cool ist!“