Gelsenkirchen. Über 30 Jahre lang spielte Andreas Kurth Oboe in diversen Orchestern in Gelsenkirchen. Nebenbei widmete sich der Ückendorfer der bildenden Kunst: Mit Granatsplittern und Stacheldraht aus Verdun schuf er ungewöhnliche Skulpturen und Bilder.

Wie können die Schreckensvisionen des Ersten Weltkrieges zu Kunst verwandelt werden? Der Gelsenkirchener Künstler Andreas Kurth macht es eindrucksvoll vor. Er schmiedet seine Skulpturen aus Patronenhülsen und Granatsplittern, die er im französischen Verdun gefunden und gesammelt hat.

„Die Idee kam mir während eines Urlaubs in Frankreich, als ich in Verdun spazieren ging. Dort fielen mir im Gelände diese vielen verrosteten Metallteile ins Auge. Nach und nach habe ich dann angefangen, sie einzusammeln und sie mit einem Wohnmobil nach Gelsenkirchen zu transportieren“, sagt Kurth, der 30 Jahre lang bei der Neuen Philharmonie Westfalen (die vorher städtisches Orchester Gelsenkirchen hieß) Oboe spielte.

Die grausamen Bilder des Krieges, von denen der Bruder seiner Großmutter manchmal erzählt hatte, gingen Kurth nicht mehr aus dem Kopf. „Die Leute hatten den Eindruck, sie werden dort an der Front regelrecht verheizt“, sagt der Bildhauer, während er seine Werkstatt zeigt: Fein säuberlich nach Größe geordnet lassen sich hier die Granatensplitter, aber auch Schüppen oder Essgeschirr aus Metall finden.

Mischung aus Schmutz und Rost

Die meisten Sammelstücke haben die Zeichen der Zeit erstaunlich gut überstanden, auch wenn sie von einer Mischung aus Schmutz und Rost überzogen sind. „Die Teile haben ja schon 100 Jahre dort unter der Erde gelegen“, gibt Kurth zu bedenken.

In mühevoller Kleinarbeit säubert der gebürtige Leipziger, der mit einer Französin verheiratet ist und abwechselnd in Paris und in Ückendorf wohnt, die Metallsplitter: Er lässt sie in Zitronensäure köcheln, bis sie wieder glänzen. Manche belässt er aber auch so, wie sie sind.

Eine Arbeit, die niemals aufhört, denn Andreas Kurth reist regelmäßig mit dem Wohnwagen in die Region, findet immer neue Sachen. „Ich sammele nur die Teile, die an der Oberfläche liegen“, betont er dann. So gerät er nicht in Gefahr, „scharfe“ Munition auszugraben.

Die Schlacht um die französische Stadt Verdun , die im Frühjahr 1916 begann, ist als eine der bedeutendsten Schlachten des Ersten Weltkrieges an der Westfront zwischen Deutschland und Frankreich in die Geschichtsbücher eingegangen. Sie wurde zudem zum Inbegriff der großen Materialschlachten, die diesen Krieg prägten.

Kurths Splittersammlung spiegelt das wider. „Ich habe mich immer gefragt, wie man dieses Material, das für so viel Leid steht, in etwas Positives umwandeln kann, wie man es in etwas Friedliches verwandeln kann“, sagt der Künstler. So kam er auf die Idee, aus der Kriegsmunition Kunst zu machen, arbeitete sie in Bilder ein – oder schweißte sie zu tanzenden Figuren zusammen.

Die Metamorphose der Granatsplitter

Wer bei den Kunstwerken und Skulpturen von Andreas Kurth genau hinschaut, entdeckt die Einzelteile, die einst an der Kriegsfront das Leben der Soldaten prägten. Neben Granatsplittern sind auch rostige Teller aus Metall, bauchige Trinkflaschen, Gasmasken, Stacheldraht und Spaten darunter.

Andreas Kurth hat sich in dem malerischen Garten des Ückendorfer Hauses, das er mit seiner Familie bewohnt, neben einer offenen Werkstatt auch ein kleines Atelier gebaut. Hier hängen sehr kunstvoll komponierte Bilder an der Wand, oft ist der Hintergrund rostbraun, wie der Schlamm, in dem die Munition einst landete.

Einzelne Versatzstücke aus Kurths Sammlung treten dann aus dem Bild hervor. Verbunden werden sie optisch durch Stacheldraht oder andere verbogene Objekte, so „malt“ Andreas Kurth mit Schrott.

Auch seine Skulpturen, darunter ein Jesus am Kreuz, wirken teils wie gemalt. Geschmeidig scheinen sich die Figuren aufeinander zuzubewegen. Dabei wirken sie friedvoll, nicht kämpferisch. Das ist dem Künstler sehr wichtig – gerne würde er sie eines Tages auch in der Kapelle von Verdun ausstellen. Denn Verdun hat die Schreckensbilder inzwischen hinter sich gelassen und steht nun für die geglückte deutsch-französische Aussöhnung. Genau wie die Skulpturen von Andreas Kurth.

Wer nun neugierig geworden ist, kann sich eine Fotostrecke mit Bildern von den Kunstobjekten anschauen auf www.derwesten.de/gelsenkirchen.