Gelsenkirchen. Eigentlich war alles schön. Das angekündigte Gewitter blieb aus, die Stimmung in den Kneipen der Stadt und im Hans-Sachs-Haus war bestens. Und dann das. Jogis Jungs kriegten das Runde einfach nicht ins Eckige. Die Laune der Fans sank zwischenzeitlich, bis zur Erlösung in der 113. Minute.
Hermann und Britta sind schon seit 16 Uhr in der Destille. Der Polizist hatte zum Glück Frühdienst und am Montag erst Spätdienst, konnte sich zwischendurch noch umziehen und stärken. Jetzt, kurz vor dem Anpfiff, sitzt er hier mit seinem schwarz-rot-goldenen Glitzerhütchen und hofft auf schöne Tore. Sohn Niko und dessen bessere Hälfte Melina sind auch da, Freund Tom und der Schwiegervater auch. Sie sehen erstaunlich frisch aus für fünf Stunden warten aufs Christkind, also aufs Endspiel. Sie haben sich extra zurückgehalten mit dem Bierchen, um ihrer Mannschaft eine echte Stütze sein zu können.
Als die deutsche Nationalhymne in Rio gespielt wird, stimmen an der Kurt-Schumacher-Straße die meisten inbrünstig ein, Hand aufs Herz. Thomas Erlhoff ist jetzt in seinem Element. Seit 17 Uhr hat er die Plätze frei gehalten für seine Frau und Freunde. Am Rand, jenseits des schützenden Dach auf dem potentiellen Regenplatz sitzt Raymond Boyd. Kein Problem für den gebürtigen Schotten mit Wohnsitz in Buer: „Regen sind wir Schotten ja gewöhnt.“ Ein paar Meter weiter sind auch alle Liegestühle besetzt. Die Wetterfrösche prophezeien Gewitter? Pah! Die Fans wollen Tore sehen, bis es donnert. Die Schlange am Grill ist mit dem Anpfiff deutlich kürzer geworden.
Wir möchten sehen, wie das Spiel der Spiele in der Wiege des Schalker Fußballs gesehen wird. Die Straße dorthin ist erwartungsgemäß leer. Der Ersatzbus für die Linie 302 spuckt noch ein paar Fans an der Destille aus und fährt leer weiter. Ein roter PS-Protz gibt ordentlich Gas. Er setzt offenbar darauf, dass auch die Polizei Fußball sieht.
Im Vereinslokal Bosch laufen vier Fernseher. Es ist deutlich leerer als beim Open-Air in Buer – dafür umso rauchiger. Und in Punkto Leidenschaft macht den Fans hier so schnell keiner was nach.
Heiner Kördel bleibt ruhig
Nur ein Mann sitzt ganz still und konzentriert vor einem Ensemble aus Pils, „Schlandkette“ und Fähnchen. Gebannt blickt er auf den Bildschirm, scheint das erste Tor geradezu herbei beschwören zu wollen. Es ist Heiner Kördel. Der mittlerweile 82-jährige Mittelfeldspieler der Meistermannschaft von 1958 weiß: Wenn ein Tor für uns fällt, wird alles anders. Dann werden unsere Jungs mutiger und auch die Argentinier müssen mehr wagen. Es müsste nur endlich mal fallen. . . Getippt hatte Kördel vorher nicht. „Ich hab doch keine Ahnung...“