Gelsenkirchen.. Am Donnerstag starb in Gelsenkirchen die 23 Jahre alte Nicole R. – ihr Ex-Freund Daniel L. (22) gilt als Tatverdächtiger. Schon früher war der Mann, der sich nach der Tat selbst tötete, gewalttätig geworden. Und jetzt fragen nicht nur Nicoles Eltern: Hätte die Tragödie verhindert werden können?

Es ist das tödliche Ende einer unerfüllten, einer gekränkten Liebe: die Studentin Nicole R. (23) und der Ex-Häftling Daniel L. (22). Weil sie sich ihm entzog, bedrohte er sie. Trat ihre Haustür ein, zerschlug Fenster, tötete sie am Ende. Ein Stalker offenbar, ein Nachsteller der extremen Art. Gestern nun bestätigt die Polizei, was schon vermutet worden war. Die Leiche des am Sonntag auf einer Duisburger Industriebrache gefundenen Mannes wurde per DNA als Daniel L. identifiziert. Nicoles Mörder richtete sich selbst.

Das Gelsenkirchener Drama, es wirft ein Schlaglicht auf ein Phänomen, das sich meist unbemerkt von der Öffentlichkeit abspielt. Jeder zwölfte Mensch, davon gehen Studien aus, wird Zeit seines Lebens einmal Opfer eines Stalkers. In Schätzungen heißt es, eine halbe Million Fälle gebe es pro Jahr in Deutschland. 80 Prozent dieser Opfer sind Frauen, die Täter zumeist ehemalige Intim-Partner. Und sie stellen ihnen auf höchst unterschiedliche Weise nach. Ist es harmlos, bleibt es bei SMSen, bei Telefonterror, bei Auflauern. Im schlimmsten Fall geht ein Stalking tödlich aus.

Daniel L. wirft mit Tretroller und Kinderfahrrad und – entwischt

So wie bei Nicole R.. Nur ein einziges Mal sticht Daniel L. am Donnerstagabend zu, trifft ihren Hals, tödlich. Nicole bricht auf dem mit WM-Flaggen geschmückten Hinterhof in Gelsenkirchen-Schalke zusammen. Er, der auch wegen Körperverletzung Vorbestrafte, ergreift die Flucht. Die Polizei verfolgt ihn, setzt ein Spezialeinsatzkommando ein. Als ein Nachbar beobachtet, wie Daniel L. in einen Hinterhof flüchtet, eskaliert die Situation. Drei Polizisten, zwei Männer, eine Hundeführerin, verfolgen ihn, schreien in den düsteren Hinterhof hinein. „Polizei!“ „Steck die Waffe weg!“, Sie sind unsicher. Ist es tatsächlich Daniel L.? Die Beamtin schickt ihren Hund in den Hof. Daniel L. wirft mit Tretroller und Kinderfahrrad nach den Polizisten und – entwischt.

Nicoles Eltern erheben nun schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Ihre Tochter habe sterben müssen, weil die Polizei ihr nicht half. Sie habe große Angst gehabt vor ihrem ehemaligen Freund, er habe sie mehrfach mit dem Tod bedroht, erklärten die Eltern gegenüber der Bild-Zeitung. Das Drama habe kurz nach seinem Einzug in ihre Wohung im Frühjahr begonnen. Er sei eifersüchtig gewesen, habe Nicole kontrolliert und geschlagen.

Am 9. April, das bestätigt Gelsenkirchens Polizeisprecher Johannes Schäfers, ruft die Studentin schließlich die Polizei zur Hilfe. Er hat ihre Wohnungstür eingeschlagen, Fenster demoliert, sie verletzt. Laut Arnold Plickert, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, kommt es an diesem Tag sogar zu zwei Einsätzen. Einem am Vormittag, einem am Nachmittag. Die Polizei spricht gegen Daniel L. ein Hausverbot aus. Nicole R. wird auf Hilfsangebote, auf den Weissen Ring hingwiesen.

„Wenn sie ihn eingesperrt hätten, würde unsere Tochter noch leben!“, argumentiert Nicoles Mutter. Ihre Tochter habe große Angst gehabt. So leicht jedoch geht das nicht. „Ich habe vollstes Verständnis für die Eltern. Doch ein Freiheitsentzug ist ein massiver Eingriff in unsere Grundrechte. Bei Körperverletzung hat die Justiz nicht diese Handhabe“, sagt GdP-Chef Plickert.

Auch die Täter brauchen Hilfe

„Die Polizei kann viel tun, aber eben nicht alles!“, sagt auch Justine Glaz-Ocik vom Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement. Was fehle, sei ein Netzwerk von Polizei, Beratungsstellen und Frauenhäusern, das in Hochrisiko-Fällen eingreife.“ Diese ließen sich inzwischen recht gut einschätzen. „Die Opfer brauchen Ver­hal­tenshinweise, wie sie die Kontrolle über ihr Leben zurückgewinnen“, so Glaz-Ocik. Aber auch die Täter brauchten Hilfe; zumal Stalker oft Wiederholungstäter seien. Glaz-Ociks Rat an die Opfer: „Gehen Sie in eine Beratungsstelle für Stalking-Opfer!“