Buer.
In vielen Märchen wird gemordet, gemeuchelt, gestohlen und gelogen. Da liegt doch als Erzählort ein Polizeipräsidium nicht fern, dachten die Erzählerinnen Inge Kalinke und Elke Wirth. Gesagt getan. Am Donnerstag fand im Rahmen des „MärchenErzählFestivals“ die Veranstaltung „Tatort Märchen“ im Polizeipräsidium Buer statt.
„Ich finde schön, wenn Märchen im Rahmen des Festivals auch an untypischen Orten gelesen werden“, freute sich Hans-Joachim Siebel vom Kulturhauptstadtbüro über die Kulisse, die sich dem erlesenen Publikum schnell erschloss. Denn in den Märchen der beiden Frauen ging es derbe zu. Um die alten Geschichten der Kulisse anzupassen, hatten sie die Titel der Märchen geändert. Aus Hans-Christian Andersens „Des Kaisers neue Kleider“ wurde etwa „Betrug“. Und in der Erzählweise gingen die Frauen auf genau diese verbrecherischen Komponenten ein. Im Falle des „Betrugs“ gab es noch etwas zu lachen, denn immerhin ebnet der Kaiser dem Betrug mit seiner Eitelkeit und Einfältigkeit erst selbst den Weg.
Auch in der „Widerrechtlichen Beschlagnahmung“ werden die eigenen Schwächen einem Mann zum Verhängnis. Seine Habgier bringt den Gemeindevorsteher dazu, einem Bauern im Streit mit einem Gutsbesitzer einen Zauberkrug zu entwenden. Den hatte der Bauer gefunden und ihn gegen Neider verteidigen müssen. Nun erfreut sich der Gemeindevorsteher daran. Denn der Zauberkrug, der alles immer wieder dupliziert, was man hinein legt, mehrt seinen Reichtum. Bis zu dem Tag, an dem der Vater des Vorstehers in den Krug fällt. „Bald stehen einhundert Greise auf der Veranda“, schildert Elke Wirth während die Zuschauer ihre Freude an dem Bild und so gar kein Mitleid mit dem Gemeindevorsteher haben, auch nicht, als die Greise im Tumult den Krug zerbrechen. „Sein Traum vom Reichtum war zerbrochen. Und von nun an musste der Gemeindevorsteher nicht nur seinen Vater, sondern auch die anderen einhundert Greise ernähren.“
Mit zum Teil drastischen Bildern verdeutlichten Inge Kalinke und Elke Wirth vor allem die moralische Funktion vieler Märchen, die frei nach dem Motto „Wer anderen eine Grube gräbt“ auch Mahnmal waren für ein gutes Verhalten. Denn die Strafe für die Verfehlungen folgt, zumindest im Märchen, schnell. Die Gäste genossen diesen Abend sichtlich und gingen mit der Erkenntnis nach Hause, dass Krimis ganz sicher keine literarische Erscheinung der Neuzeit sind.
Das „MärchenErzählFestival“ ist ein auf Gelsenkirchen beschränktes Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt. Bis Mitte Oktober werden an vielen Orten Geschichten erzählt. Mit der letzten Veranstaltung schließt sich der Kreis zum „Tatort Märchen“. Dann nämlich erzählt Anka Franken im Gefängnis Märchen.