Gelsenkirchen. Mitarbeiter und Gewerkschafter beklagen untragbare Arbeitsbedingungen im Callcenter von „Tectum” in Gelsenkirchen. Es gebe extremen Druck und Schikanen. Der geschäftführende Gesellschafter des Unternehmens widerspricht: An den Vorwürfen sei nichts dran.
„Nur wer selbst brennt, kann andere anzünden”, steht auf einem Schild, das ein Vorgesetzter an einem Faden befestigt und unter die Decke gehängt hat. Es ist nicht allein: Zu Dutzenden baumeln Sprüche in den Großraumbüros von Tectum über den Köpfen der Mitarbeiter. Die Gewerkschaft Verdi würde sagen: wie ein Damoklesschwert, denn sie lässt kein gutes Haar an dem Ückendorfer Unternehmen.
"Untragbare Arbeitsbedingungen"
Im Gegenteil. „Untragbar” seien die Arbeitsbedingungen in dem Call Center, das in nur wenigen Jahren zum größten in NRW aufgestiegen ist. Verdi-Sekretär Markus Neuhaus spricht von „Galeeren-Sklaven-Zuständen” bei Tectum. „In der Branche gibt es keine weißen, sondern fast nur graue Schafe”, erklärt der Anwalt, „bei Tectum aber sind sie schwarz.”
Sein Kollege, der Gewerkschaftssekretär Gerd Vatterot, hat den Hauptschuldigen ausgemacht: Hubertus Küpper, Tectum-Gründer und Chef im Haus. In Gelsenkirchen, Essen, Dortmund und nun auch in Oberhausen, wo Tectum Call Center betreibt, präsentiere sich Küpper in der Öffentlichkeit als „Wohltäter”, ja „Retter des Ruhrgebiets”. In Wahrheit aber, so Vatterot süffisant, sei er vor allem eines: „ein Mann mit mangelndem Demokratieverständnis”.
Üble Berichte ehemaliger Mitarbeiter
Wo es hakt? Verdi präsentiert ein halbes Dutzend Leute, fast alle ehemalige Mitarbeiter, die – mal mit, mal ohne Namen – Übles berichten. Beispiel eins: das Thema Krankheit. Wer krank war, sagt eine 34-jährige ehemalige Call-Center-Agentin, müsse hinterher schon mal zum „Krankenrückkehrgespräch” beim Teamleiter antreten und dort seine Krankheit offenlegen. Wiege sie schwer, „wird der Vertrag nicht verlängert”.
Damit nicht genug, ergänzt eine 27-Jährige. Je geringer der Krankenstand in einem Team, desto höher seien auch die Provisionen – für alle. Mit diesem Instrument, so die Frau, werde Druck aufgebaut: Wer sich krank melde, werde von den anderen kritisch beäugt. Nicht wenige arbeiteten deshalb die Krankheitstage nach – ohne Bezahlung.
Beispiel zwei: Arbeitsbedingungen. Hier werde direkt Druck aufgebaut. So gebe es Teams, in denen der Chef seinen Call-Center-Agenten die Stühle wegnehme, wenn sie nicht schnell genug telefonierten oder nicht schnell genug Abschlüsse erzielten. Mehr noch: Der Teamleiter bestrafe auch körperlich, „piekse” Mitarbeiter etwa mit einer Stricknadel in die Seite, um sie auf Trab zu bringen.
Und Beispiel drei: Fortbildungen: Diese gebe es oftmals nicht, klagt ein Ex-Mitarbeiter. Sei man ein „Ja-Sager” und „schreibe gute Ergebnisse”, dann sitze man schnell ganz vorne am Schreibtisch – ohne für den Chefposten ausgebildet zu sein. So gerieten Teamleiter schnell unter Druck – den sie an die Kollegen weitergäben.
Die Verdi-Sekretäre sind sich einig. „Bei Tectum”, fast Anwalt Neuhaus zusammen, „gibt es so schlechte Arbeitsbedingungen wie in fast keinem anderen Call Center.”
Frank Perlik, der Betriebsratsvorsitzende in der Ückendorfer Zentrale, ist da zurückhaltender. Generell, sagt der 43-Jährige vorsichtig, gebe es an den Arbeitsbedingungen nichts auszusetzen. Aber auch Teams, „wo es nicht so berauschend läuft”, fügt er an, ohne ins Detail zu gehen. Daran werde aber gearbeitet – und zwar mit der Chefetage. Kurz: „Der Zug geht in die richtige Richtung.” Dass es ansonsten rund läuft im Haus, will Perlik beim Rundgang zeigen. Und in der Tat: Gescherzt wird da auf den Fluren und zwischen den Telefonaten, man gibt sich die Hand mit angewinkelten Armen in Kumpel-Manier, und den Stuhl, den haben sie noch alle. Kein Wunder womöglich, wurde der Besuch der Presse doch per E-Mail angekündigt.
Und die Schilder an der Decke? Einen gewissen Druck, sagt Perlik, gibt es doch überall. Und ohne Umsatz, auch das sei klar, „kann man keinen Betrieb erhalten”. Der Hinweis, der über seinem Kopf baumelt: „Aufgeben heißt, am eigenen Willen gescheitert zu sein.”
Küpper: An den Vorwürfen ist nichts dran
Hubertus Küpper, der geschäftsführende Gesellschafter von Tectum, wiederum kocht vor Wut. An den Vorwürfen von Verdi, schimpft er, sei „aber auch gar nichts dran." Vielmehr fänden die Mitarbeiter in seinen Häusern „exzellente Arbeitsbedingungen" vor, „99 Prozent sind zufrieden". Wäre es anders würden nicht die Großen der Branche, etwa T-Mobile, Aufträge an sein Haus vergeben. Und zum Mitschreiben: „Wir sind eine durch und durch seriöse Firma."
Der Verdi-Aufschrei, der mit Demonstrationen vor den Tectum-Häusern begann, sei „mutwilliges Zerstören von Arbeitsplätzen", meint Küpper, dem es nur schwer gelingt, sich im Zaum zu halten. „Scheiß Gewerkschaft" ist da noch ein mildes Wort, das ihm über die Lippen geht. Verdi, glaubt er, habe sich auf ihn eingeschossen – auch deshalb, weil es so wenige Verdi-Mitglieder bei Tectum gebe. Gegen Betriebsräte, betont Küpper, habe er nichts. Im Gegenteil: In seinem Unternehmen gebe es sie, und mit den Mitgliedern könne man gut zusammenarbeiten. Nicht aber mit Verdi.
Natürlich: Er sei „nicht der liebe Gott", habe aber eine Stiftung gegründet und spende großzügig, heißt: Er mache etwas für die Gesellschaft. Auch würden seine Mitarbeiter gut bezahlt: Branchenweit zahle er mit das meiste Geld – pro Stunde zwischen 9 und 14 Euro, also weit mehr als der von Verdi geforderte Mindestlohn von 6,50 Euro.
Und Stühle, stellt er klar, würden bei Tectum niemandem weggenommen, auch werde keiner gepiekst, und es gebe eine Ausbildung der Teamleiter auf hohem Niveau. Wer anderes behaupte, so Küpper, sage die „absolute Unwahrheit". Und der geschäftsführende Gesellschafter verspricht: Sollte ihm zu Ohren kommen, dass Vorgesetzte Mitarbeiter drangsalieren, „dann werden Missverhältnisse beseitigt". (M.M.)