Gelsenkirchen. Fixierung galt lange als angemessene Maßnahme, die die Sturzgefahr von alten Menschen effektiv verhinderte - nun aber nicht mehr: Der Gelsenkirchener Arbeitskreis “Bündnis gegen Fixierung“ entwickelt alternative Möglichkeiten. Zum Beispiel sollen Niederflurbetten einen möglichen Sturz abmildern.

„Freiheitsentziehende Maßnahmen“ – ein Terminus, der negative Assoziationen weckt. Bestrafung, Knast . . . Im speziellen Fall geht es allerdings um Freiheitseinschränkung durch Fixierung in stationären Einrichtungen der Altenpflege oder im ambulanten Altenhilfebereich. Fixierung – etwa durch Bettgitter und Gurte oder gar durch Einsatz von Arzneimitteln – galt lange Zeit als adäquates Mittel, der Sturzgefahr, der alte Menschen ausgesetzt sind, zu begegnen.

In Gelsenkirchen hat man sich schon vor zwei Jahren auf den Weg gemacht, alternative Möglichkeiten zu entwickeln, um diese unsensible „Schutz vor Sturz“-Methode weitgehend abzuschaffen. Innerhalb der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) hat sich der Arbeitskreis „Bündnis gegen Fixierung“ gegründet. Ein ausschlaggebender Punkt war sicherlich auch das allgemeine Vorurteil, im Altenheim würden die Leute einfach fixiert, weil’s dann fürs Personal einfacher ist.

Einsatz von Niederflurbetten

Weit gefehlt. Vielfach hätten Einrichtungen aus Hilflosigkeit den Antrag auf Fixierung gestellt – dafür sei eine richterliche Genehmigung erforderlich, berichten Markus Pudel und Jörg Rademacher, beide Einrichtungsleiter und Mitglied im Arbeitskreis Bündnis gegen Fixierung. Denn: „Wenn ein Mensch in einer stationären Einrichtung aus dem Bett gestürzt ist, haben Krankenkassen die Heime in Regress genommen“, erklärt Pudel. Passiere das im Privathaushalt, würden die Kassen die Folgekosten tragen.

Eine treibende Kraft im Arbeitskreis ist auch Christiane Wendt, die Leiterin bei der Betreuungsstelle der Stadt. Sie ist seit 2010 mit diesem Thema unterwegs. „Ich habe gedacht, das kann doch nicht sein, dass man alte Menschen einfach fixiert“, erzählt sie. Mittlerweile war sie in fast allen Senioren-Einrichtungen, hat Aufklärungsarbeit geleistet, über Alternativen informiert.

Apropos Alternativen: Die sind Bestandteil eines Qualitätshandbuches, das innerhalb des „Bündnisses gegen Fixierung“ entwickelt wurde. 22 stationäre Senioren-Einrichtungen und ferner ambulante Wohngruppen und Pflegedienste haben sich per Unterschrift inzwischen verpflichtet, die entwickelten Standards umzusetzen.

Alternativen zur Fixierung sind beispielsweise so genannte Niederflurbetten, vor die zusätzlich Matratzen als Polster gelegt werden. Oder so einfache Dinge wie Stoppersocken, ausreichende Beleuchtung oder Protektorenhosen. Stürze würden zwar nicht ganz verhindert, aber deren Folgen erheblich gemindert, sagen die Bündnis-Partner. Deren oberstes Ziel ist, die Lebensqualität alter Menschen zu erhalten.

Gelsenkirchen könnte eine Vorreiterrolle einnehmen

Einrichtungen und ambulante Dienste, die sich den neuen Qualitätsstandards angeschlossen haben, erhalten Zertifikate. Oberbürgermeister Frank Baranowski als Schirmherr der Aktion wird diese am 7. Mai im Hans-Sachs-Haus überreichen. Einrichtungen, die sich noch nicht angeschlossen haben, können dies noch jederzeit tun, sagen die Sprecher des Arbeitskreises Bündnis gegen Fixierung.

Mit der Einrichtungs übergreifenden Vorgehensweise in Kooperation mit der Stadt bei diesem sensiblen Thema könnte Gelsenkirchen nach Einschätzung der Bündnis-Sprecher eine Vorreiterrolle übernehmen. Immerhin sind die Fixierungsquoten in Gelsenkirchen durch Aufklärungsarbeit und durch die Mitgliedschaft vieler Einrichtungen im Arbeitskreis gesunken. Auch die Anschaffungskosten für Niederflurbetten haben sich deutlich nach unten entwickelt. Heißt: Die Anschaffungshürde ist spürbar gesunken