Gelsenkirchen. . Alt, aber nicht eingerostet: Am Consol Theater stellte „Synovia“ Tankred Dorsts „Ich bin nur vorübergehend hier“ vor. Zu sehen waren ein starkes Ensemble, ein mutiges Stück und eine packende Inszenierung. Ein Großteil des Publikums blieb im Anschluss an die Aufführung zur Podiumsdiskussion.
Das darf man ein kleines Theaterwunder nennen: Da kommt ein Stück unbequem und fordernd daher, alles andere also als ein Kassenknüller – und es müssen noch Stühle fürs Publikum herbeigeschafft werden. Zu sehen am Wochenende im Consol Theater. Vorhang auf für „Synovia“.
Da traten die jung gebliebenen Alten des Hauses zur bereits fünften Produktion auf die Bühne. Sie trauen und muten ihrem Publikum viel zu. Denn Tankred Dorsts „Ich bin nur vorübergehend hier“ geht nicht auf Schmusekurs. Nein, hier gibt es keinen gütigen Lehnstuhl-Opa. Die, die Dorst in spannenden Einzelschicksalen zeigt, sind wehrhaft, wütend, sie sind frech und unberechenbar. Und sie sind es zu Recht.
Denn wer wollte nicht aufbegehren, wenn es dem Herrn Doktor (auf eleganten Tango-Sohlen: Reinhold Stania) am liebsten wäre, sich der gebrechlichen Greise per Hammer zu entledigen. „Ist man sofort tot?“, fragt etwa ein potenzielles Opfer. „Kommt drauf an“, säuselt der Doc.
Starke Typen, starkes Spiel
Es sind starke Typen, die Regisseurin Ulrike Czermak mit diesem famos miteinander ins Spiel kommenden Ensemble herausgearbeitet hat. Da läuft uns ein Schauer über den Rücken, wenn ein einsamer Sucher (Willi Marschewski) nicht aufgibt, seine Liebste noch einmal zu finden. Da werden Geschichten der Vergeblichkeit erzählt, wenn von den Wiedersehensträume der Zwillingsschwestern (Rosi Kaufmann, Rosemary Rosendahl) nur noch ein Grabstein im fernen Amerika bleibt. Und ein alter Richter (Norbert Pricken-Ulrich) kann nicht davon lassen, (Fehl?)-Urteile zu fällen.
Seniorentheater
Das Seniorentheater „Synovia“ lud die Zuschauer nach der Aufführung zur Diskussion ein. Viele blieben. „Das hat mich angefasst, berührt“, lobten Zuschauer. Und ein alter Herr las in dem Abend auch die Ermunterung, „in seinem Leben selbst die Regie zu führen“.
Zwei Abende lang war das Consol Theater komplett ausverkauft. Ob das Erfolgsstück noch einmal aufgeführt wird, ist unklar. Erstmal gibt es im Juni im Consol ein großes, NRW-weites Seniorentheaterfestival. „WildWest“ vom 19. bis 22. Juni.
Es gibt Revolten („Ihr werdet vor uns sterben“) und warmherzige Liebe, wenn Romeo (Klaus Lücke) Haare gelassen hat und seine Julia (Regine Kaiser) im Rollstuhl leidet. Gerade das Nebeneinander macht diesen mit langem Beifall gefeierten Abend so spannend. Eben noch hat Frau Sonnemann (charismatisch: Doris Himmelreich) den lachenden Erben auf Band gesprochen. Dann irrt wie ein Geist Heidi Kehe vorüber und muss sich noch sagen lassen: „Eine Tote hinkt doch nicht.“
Das Thema: Altsein und damit umgehen
Man spürt, dass es den Schauspieler ernst ist mit dem Thema: Altsein, damit umgehen. Wie sie den Raum (ein Niemandsland aus vielen Stühlen) mal als abgedrehte Vogelschar, mal streng gereiht erobern, hat magische Momente. Man sieht Menschen mit Mut, zu sich zu stehen, aufzubegehren: die abgerissene Pennerin (Barbara Schlemm), die Dienerseele mit Abgründen (Waltraud Delaveaux) und mit Benno Hammerschmidt und Brigitte Hoffknecht Wesen, die um etwas kämpfen, was das Leben ihnen nahm. Und das koboldhafte Kind (Gisela Meyer zu Dielingdorf) schenkt dem starken Abend ein aufwühlendes Schlussbild: Tiefrot sind alle wieder jung. Um welchen Preis, das kann man nur vermuten.