Gelsenkirchen. Im Hans-Sachs-Haus haben die Narren die Macht übernommen. Gut 350 Besucher füllen den Saal bei der jecken Eroberungs-Party und feiern zu Schunkel-Klassikern. Die Frauen mit Viola I. an der Spitze geben dabei klar den Ton an
Alles neu. Auch der Rathausschlüssel. Den trägt Ihre Lieblichkeit Viola I, die Frau an der Seite von Prinz Karneval Marius I. seit Donnerstag, 11.35 Uhr am Band um den Hals. Da hatten die Narren die Regentschaft im Rathaus übernommen und Oberbürgermeister Frank Baranowski, sekundiert vom Bürgermeisterduo Gabi Preuß und Klaus Hermandung, längst lustvoll kapituliert.
Gebützt, gefeiert und mit gestutztem knallroten Binder geht der OB mit einem besonderen Trösterchen (Alina I: „Lieber Frank, wir haben dir was mitgebracht....“) in die tollen Tage. Denn unter güldenem Glitzertuch versteckte sich ein Ausgleich für den Verlust des Amtssitzes – der Rathauschef bekam das Hans-Sachs-Haus als Modell. Der OB zeigt sich beim ersten Rathaussturm an der alten neuen Adresse nach langer Baupause und fälligen Ausweichjahren in Buer als Mann, der gönnen kann: „Macht euch breit hier und feiert schön. Das ist ein schönes Haus. Aber Aschermittwoch will ich das Ding zurück...“
Im Bürgercenter bleibt es ruhig
Als Aufmarsch-Gelände am Morgen dient der Alfred-Fischer-Platz. Im Bahnhofcenter haben die Narren vorgeglüht. Um kurz nach 11 Uhr drängen sie ins Forum. Ordner bewachen die Eingänge, in einigen Fällen gibt es Taschenkontrollen. Doch die Stimmung ist gelöst. Zu viel getankt hat hier auch nach den ersten Runden an der Theke (alle Getränke 1 Euro) keiner. Die Zwischenwand ist geschlossen. Im Bürgercenter läuft die Arbeit in ruhigen Bahnen. Vor der Trennwand steppt dafür der Bär. Eine Fliegertruppe prostet Teufelinnen zu, Mexikaner und Matrosen stehen beieinander, Hippies, Bayern-Buam, Dirndl-Mädchen und Marienkäfer geben sich die Ehre. Eine muntere Truppe mit roten Tonnen, Röckchen und Riesenbrillen fällt im Trubel besonders auf. Die Frauen vom Sozialdienst Schule sind in närrischer Mission unterwegs. Für Iris, Elke, Eva, Christin und Co. steht fest. „Wir arbeiten hier noch weiter. Und abends geht’s nach Buer. Ins Zelt.“
Für die meisten reicht aber eine Narrenkappe – oder wenigstens zur Schau getragener Frohsinn. Mit einem dreimaligen „Zickezacke“ verschafft sich Alina I. Gehör. Ihrem Marius I. bleibt Weiberfastnacht nur die Prinzenrolle als freundlicher Begleiter. Die Tanzgarde füllt längst die Bühne. Doch den Ton geben die Frauen an. Vor allem Annette Schwenzfeier. Flankiert von vier „Steigenbergern“ stimmt sie das Mottolied der Session an. „Karneval total an Emscher und Kanal“ – und siehe da, das treibt „die Hände zum Himmel“.
Jecke Tön und coole Kutten
Beim Repertoire setzt Annette Schwenzfeier mit den Steigenbergern auf jecke Kracher und Klassiker. Da werden musikalisch selbst Kölsche und Düsseldorfer jute Fründe. So ein Mix tut fern vom Rhein in GE keinem weh (hier reagiert man ja nur höchst sensibel auf Schwarz-gelbe-Verquickungen), und so schunkelt der Saal spätestens bei „Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädche!“
„Die Bude ist voll, wunderbar“, freut sich Hans-Georg Schweinsberg über den Zulauf im HSH. „Genial. Der Zuspruch ist wesentlich besser als in Buer, die Stimmung ist super.“ Für den Sitzungspräsidenten des Festkomitees Gelsenkirchener Karneval ist es eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. „Karnevalistisch bin ich ja hier groß geworden.“
Der Boss im Weiberchor und Bölkstoff zum Gesang
Ihr Auftritt ist für viele im (Rat)-Haus Kult: Der „Weiberchor der Stadt Gelsenkirchen“ kommt diesmal rockig daher. Angeführt von „Roxy“ Nadine Garba geht’s auf die Bühne. Der Ansage („In diesem aufgemotzten Gemäuer gibt’s viel zu viel tote Hosen. Wir steh’n aber mehr auf knackige Freier“) lassen die Rockerbräute Taten folgen. OB Baranowski bekommt eine coole Kutte. Mit „Frankie“ auf der Brust, „The Boss“ auf dem Rücken und Luftgitarre im Anschlag muss er „Highway to Hell“ mitgrölen. Ein umjubelter Auftritt.
Der Weiberchor hat aber noch mehr drauf. Zu „Beinhart wie ein Rocker“ gibt’s Werner-like Bölkstoff und Liedgut: „Wir rocken die Bude bis Buxtehude, wir lassen es krachen mit 200 Sachen“. Chor-“Mama“ Marlies Dropmann ist sicher: „Uns kannste in die Kiste stecken. Wir sind immer gut drauf.“ Die Mädels, mit Sozialdezernentin Karin Welge in Krad-Kluft, ziehen ab. Die Musik zum Abgang: „Ich hab drei Haare auf der Brust, ich bin ein Bär..“
Narren-Splitter zum Rathaussturm:
Timing. Am Einzug ins neue Hans-Sachs-Haus müssen die närrischen Wegbereiter noch etwas arbeiten. Ehe die Gesellschaften im Saal waren, hatte sich das Feiervolk schon vor der Bühne breit gemacht. Manche fanden den Verdrängungswettbewerb nicht lustig.
Deko. Drei Wimpelgirlanden, eine Luftballonschlange, ein paar bunte Schmetterlinge und Aufblas-Figuren unter der Saaldecke waren schon mal ein ordentlicher Anfang. Aber da bleibt sicher noch viel Luft nach oben...
Schüler. Als Anlass, sich mit Alkohol abzuschießen, diente die Rathaussause in der Vergangenheit manchem Schüler in Buer. Die Nebenwirkungen waren eher unerfreulich. Doch den Weg an die neue Feierstätte fanden diesmal nur wenige Jugendliche. Liegt ja auch keine Schule direkt nebenan.
Arbeit. Das jecke Defilee ließen Handwerker am HSH vorbeiziehen. Sie schraubten unbeeindruckt weiter an der Vordach-Verblendung.