Gelsenkirchen. Das ungewöhnliche Bühnenhörspiel “Stadt der 1000 Feuer“ von Oliver Augst und John Birke feierte im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier vergangenen Freitag seine Premiere. Das Live-Hörspiel soll als Synonym für Arbeit erinnern und serviert den Zuschauern ganz schön schwere Kosten.

Eine „Stadt der 1000 Feuer“ ist Gelsenkirchen schon lange nicht mehr, die letzte Fackel mit Koksgas ist längst erloschen. Doch der Mythos lebt: Am Musiktheater im Revier hatte am Freitagabend im Kleinen Haus ein Stück Premiere, das an die 1000 Feuer als Synonym für Arbeit erinnern soll.

Eine Ode an Gelsenkirchen wurde das „Bühnenhörspiel für Sprechchor und vier Solisten“ jedoch in keinster Weise - abgesehen von den Schalke-04-Schweißbändern, die Solistin Bernadette La Hengst an diesem Abend an den Handgelenken trug.

Mehr Live-Hörspiel als Theater

Um Arbeit sollte es gehen in diesem Stück, das weder Gesang noch Theater war - ein Live-Hörspiel eben, ersonnen von dem Komponisten und Regisseur Oliver Augst und dem Autor John Birke auf Basis der 1927 entstandenen Sprechchortexte „Der gespaltene Mensch“ von Bruno Schönlank.

Der Auftakt mit schrecklich verschwurbelten Sätzen ließ Schlimmes erahnen: Fachbegriffe wie die des „politisch-philosophisch-panperformativen Worknormativs des Workdiskurses“ wurden hier aneinander gereiht, Chor und Solisten raunten sich wie maschinell getaktet Phrasen zu.

"Die Stadt der 1000 Feuer" erinnerte Karl Marx

Schnell wurde jedoch klar, dass man hier die kopflastigen abgehobenen Diskussionen der „Elite“ auf die Schippe nehmen wollte - diese wurden in dem 70-minütigen Stück den Geräuschen der schweißtreibenden Arbeitswelt des Industriezeitalters gegenübergestellt. „Die Stadt der 1000 Feuer“ erinnerte an die Arbeitsideologie von Karl Marx, an erste Gastarbeiter in der Region, an den industriellen Wandel und die damit verbundene Welle der Arbeitslosigkeit.

Schließlich spannte sich der Bogen hin zur „Generation Praktikum“, die heute von Job zu Job gereicht wird, ohne für harte Arbeit entlohnt zu werden und hin zu jenen, die sich mit absurden Ideen selbstständig machen. Solistin Gina D’Orio verkörperte etwa die junge Frau, die sich mit einer „Opfer-Agentur“ selbstständig gemacht hat, bei der man willige Opfer mieten kann, um sie zu foltern oder zu verprügeln. Ein verzweifelter Versuch, sich mit Selbstständigkeit über Wasser zu halten, um nicht arbeitslos zu sein - koste es, was es wolle. Es waren Momente wie dieser, die dem Publikum Denkanstöße mit nach Hause gaben und gerade dadurch einen Unterhaltungswert erhielten.

1000 Feuer sicherlich kein Publikumsmagnet

„Die Stadt der 1000 Feuer“ serviert ganz schön schwere Kost und wird daher sicherlich kein Publikumsmagnet, was schade ist. Denn die 35 Sängerinnen und Sänger des Opern- und Extrachores des Musiktheaters im Revier unter Leitung von MiR-Chordirektor Christian Jeub ziehen mit brillanten a-cappella-Klangeffekten ebenso das Publikum in den Bann wie die Solisten, die immer wieder aus dem monotonen Sprechgesang ausbrechen, um dem Stück mit feinen Melodien Leben einzuhauchen.

Die Elektropop-Sängerin Bernadette La Hengst sorgt dabei für Farbsprenkel im Einheitsgrau der Arbeiterdichtung, der Freejazzer Sven-Ake Johansson ebenso. Ein gewagtes Experiment, das wie Feuer unter den Nägeln brennt.