Gelsenkirchen. Fotoausstellung im Gelsenkirchener Kulturrraum „Die Flora“. Familie gestern und heute - von der Volksgemeinschaft zur Vielfalt. Dokumente sollen historisches und politisches Lernen ermöglichen.

Im weißen Kommunionkleid und mit Schülermütze ist Wilma Seithe auf alten Fotos zu sehen. Die 86-Jährige hat wie viele Gelsenkirchener Bürger im Fotoalbum gestöbert und Erinnerungsstücke zur Verfügung gestellt. In der Ausstellung „Familie gestern und heute – von der Volksgemeinschaft zur Vielfalt“ wird in der Flora das Familienleben unter dem Einfluss der Nazis bis zur heutigen Generation dokumentiert.

Wie Nationalsozialisten in Familie und Bildung eingriffen, hatte auch Wilma Seithe zu spüren bekommen. Sie schlossen das katholische Mädchengymnasium Aloysianum. „Nach den Herbstferien“, erinnert sich die Schalkerin, „konnte ich nicht mehr in die Schule zurück.“ Oberbürgermeister Frank Baranowski sieht in der Ausstellung auch einen Beleg dafür, dass Familien und Gesamtgesellschaft immer zusammen gehörten, im Guten wie im Schlechten. Sicherlich habe neben dem Einfluss des Regimes auch die rigide Erziehung autoritärer Eltern ihren Beitrag dazu geleistet, die Menschen für das Unrechtsregime zu formen, mindestens aber empfänglich zu machen.“

Erzählungen aus verschiedenen Epochen

Das Foto, das eine Großfamilie der 30er Jahre zeigt, scheint symbolisch zu sein für das Verhältnis zwischen Staat und Familie. Man baute sich auf vor einem riesigen Hitlerportrait. Auch beim Sommerfest im Kleingartenverein zählten 1933 Wimpel mit Hakenkreuzsymbolen zur dekorativen Feierausstattung. Bei Gruppennachmittagen war das Leitbild transparent „Du bist nichts, Dein Volk ist alles.“ Schon durch die Strenge in den Gesichtern unterscheiden sich viele Fotos aus den 30er Jahren von den Heiterkeit und Halt vermittelnden Familienportrait aus aktueller Zeit.

„Familien definieren sich über Aufgaben, nicht über die Form“, sagte Superintendent Rüdiger Höcker. „Wir brauchen Vertrautes, um Neues zu wagen.“ Auch heute sieht der Kirchenvertreter noch viele soziale Baustellen, fordert ein neues Nachdenken in Familien und Gesellschaft. So vermisst er Antworten zum Thema Pflege der Väter und Mütter.

Historikerin Dr. Uta C. Schmidt, auch Kuratorin der Ausstellung, sieht in den Fotodokumenten Erzählungen aus verschiedenen Epochen, die historisches und politisches Lernen ermöglichen und das Bewusstsein schärfen sollen. Die Nazis, so Schmidt, setzten Zwänge, die heutige Gesellschaft präge demokratisches Gestalten. Parallel zur Führergefolgschaft herrschten auch in der Familie patriarchale und autoritäre Strukturen. Schmidt: „Bildung war damals eine temporäre Lebensphase, heute begleitet sie uns ein Leben lang.“