Gelsenkirchen. . Für die Entwicklung der Jüngsten ist die Dauer der Fürsorge in einer Tageseinrichtung entscheidend – das zeigt die jüngste Untersuchung von 8000 Kindern in Gelsenkirchen
Dass Bildung und Wohlbefinden in Wechselwirkung stehen, das zeigt die Untersuchung der Stadt zur gesundheitlichen und sozialen Lage von Kindern. Aus der Analyse der Schuleingangsuntersuchungen von rund 8000 Mädchen und Jungen in den drei Jahren lassen sich valide Ergebnisse hinsichtlich der motorischen, kognitiven und sprachlichen Entwicklung der Schulanfänger ableiten.
Sie lauten: „Je länger ein Kind eine Kindertageseinrichtung besucht hat, desto eher ist es altersgerecht entwickelt – ein Faustpfand für die künftige Schul- und Berufslaufbahn“, sagte Sozialdezernentin Karin Welge. Und: Desto häufiger ist auch die Gesundheitsvorsorge (Impfungen, U-Untersuchungen) ausreichend.
Jedes Vierte Kind auffällig
Auffällige Defizite in der Körperkoordination haben stadtweit zehn Prozent der Kinder. Als grenzwertig bezeichnet die Erhebung diese wichtige Fähigkeit bei 29% der Untersuchten. Die Werte nehmen jedoch zu, wenn die Verweildauer in der Kindertageseinrichtung kurz ist. Eine dreijährige Betreuung ergab eine Auffälligkeitsquote von sieben Prozent, eine Fürsorge von nur einem Jahr oder weniger ließ den Wert auf 25% empor schnellen.
„Ein Migrationshintergrund ist oft auch ein Kriterium für soziale Benachteiligung und geht in Gelsenkirchen meist mit einem niedrigen Bildungs- und Sozialstatus einher“, sagte Welge. Deutlich werde das nicht so sehr in Sachen Körperkoordination, dafür aber in der Entwicklung der Sinne (Denken, Wahrnehmung, Problemlösen, Gedächtnis, Sprache). Zudem seien Migrantenkinder häufiger übergewichtig/adipös. Bei Mädchen und Jungen mit osteuropäischen Wurzeln lag die Quote bei 11 %, bei jenen mit türkischen Hintergrund sogar bei 20%.
Und noch etwas förderte die Untersuchung zu Tage: Die Annahme, dass bei kinderreichen Familien Brüder und Schwestern sich gegenseitig in ihrer Entwicklung beflügeln „ist ein Trugschluss“, so Welge. Vielmehr zeigten die neuen Daten, dass Kinder mit zwei oder mehr Geschwistern sehr viel häufiger Entwicklungsauffälligkeiten haben sowie Defizite bei der Gesundheitsvorsorge.
Besonders deutlich wird das bei der Zahngesundheit. Im Süden der Stadt benötigen in einigen Stadtteilen gut 60% (Schalke) der Gebisse von Sechs- bis Siebenjährigen akut eine Behandlung; im Norden (Buer) sind es nur die Hälfte.
Die Spritze richtig ansetzen
Das Nord-Süd-Gefälle, es tritt bei der Untersuchung zu Tage. Nicht altersgerecht entwickelte Kinder und solche mit gesundheitlichen Defiziten finden sich in den Sozialräumen im Stadtsüden: Bulmke-Hüllen, Schalke-Nord, Neustadt, Ückendorf, Altstadt und Rotthausen und zum Teil in Bismarck, Schalke und der Feldmark.
Das bedeutet einen noch dringenderen Handlungsbedarf, denn durch den zu erwartenden starken Zuzug von Rumänen und Bulgaren in diese Sozialräume kommen erhebliche Anforderungen in die gesundheitliche Vorsorge und Versorgung von Kindern und deren Eltern auf die Stadt zu, etwa bei Themen wie Verhütung, Schwangerschafts- und Kindervorsorge.
Kein Wunder ist es daher, dass man bei der Stadt das Betreuungsgeld angesichts der besonderen Sozialstruktur Gelsenkirchens als Gefahr sieht, die Situation noch zu verschärfen. „Das Betreuungsgeld mag für Familien in Bad Tölz gut sein“, sagte Karin Welge, „aber nicht für Gelsenkirchen.“ Dem kann man sich nur anschließen. Finanzspritzen braucht es, sicher, aber dann auch solche, die bei den Kindern ankommen.