Gelsenkirchen. Der 20-jährige Student und Vorsitzende der Gelsenkirchener Jusos, Taner Ünalgang, ist beeindruckt, wie die Menschen in der Türkei zusammen auf die Straße gehen und gemeinsam für Demokratie und Freiheit protestieren. Er folgt seiner politischen Stimme und reist in die Türkei.

Als Taner Ünalgan (20) die ersten Bilder von den Protesten auf dem Istanbuler Taksim Platz sah, war er tief berührt. Und das aus mehreren Gründen. „Ich verfolge das, was in der Türkei passiert, schon seit vielen Jahren, habe selbst Verwandte dort“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Gelsenkirchener Jusos.

Besonders beeindruckt habe es ihn, dass dort Menschen zusammenkamen, die weder politisch, noch beruflich, noch vom Alter her viel gemeinsam hatten. „Sogar sonst rivalisierende Fußballfans sind gemeinsam auf die Straße gegangen, um für Demokratie und Freiheit zu protestieren – das würde hier nicht so einfach funktionieren“, sagt er.

"Ein mulmiges Gefühl"

Als die Proteste ebenso zunahmen wie die Polizeigewalt gegen sie, war für den Studenten der Philosophie und Islamwissenschaft der Punkt erreicht, an dem er sich dachte: „Da muss ich hin.“ Also nutzte er seinen Urlaub, folgte seiner politischen Stimme und flog vom 23. Juli bis zum 4. August erst nach Istanbul, dann nach Adana zu seiner Familie.

In Istanbul angekommen traf er sich zunächst mit Aktivisten der Partei CHP, dem türkischen Pendant zur SPD. Mit ihnen besuchte er den Gezi Park und den Taksim Platz – die beiden Kernpunkte der Proteste, die Orte, an denen Fotografen Bilder von türkischen Polizisten aufnahmen, die mit Gaspistolen und Wasserwerfern auf friedliche Demonstranten schossen. „Das war schon ein mulmiges Gefühl“, sagt Ünalgan, „dort zu stehen, wo noch vor wenigen Monaten so etwas passiert ist und heute das Leben normal weiter läuft.“

"Viele kleine Veränderungen führen zu einer großen"

Von den großen Auseinandersetzungen sei nicht viel geblieben – zumindest rein optisch nicht. Ein paar ausgebrannte Busse, vereinzelte Straßensperren, wenige Demonstranten, die die Stellung hielten. Ansonsten sei die Lage ruhig gewesen. „Es war trotzdem komisch“, sagt Ünalgan, „man merkt, dass etwas in der Luft liegt, dass noch etwas schwelt.“ Aber genau das finde er gut und unterstützenswert: „Noch vor einiger Zeit wären diese Proteste unvorstellbar gewesen. Doch jetzt zeigen die Leute, gerade die jungen und gebildeten, dass sie sich nicht alles gefallen lassen.“

Auch in Adana, der fünftgrößten Stadt in der Türkei, in der Ünalgans Onkel, Tante sowie zwei Cousinen leben, haben die Proteste Wirkung gezeigt. „Meine Cousinen wollten mitprotestieren. Ihre Mutter war aus Angst vor Repression dagegen. Doch sie haben ihre Meinung verteidigt, sich gegen den Willen der Mutter gestellt. Auch das war zuvor unüblich“, erzählt Ünalgan, „für mich ist das ein Zeichen, dass in der Türkei viele kleine Veränderungen zu einer großen führen können.“ Er spricht von Revolution, ohne sie so zu nennen. Ünalgan sucht nach dem richtigen Wort. Es klingt so simpel und heißt: Hoffnung.