Gelsenkirchen. . Doro Rudde lebt längst nicht mehr in Ückendorf. Trotzdem ist die Gegend rund um die Bergmannstraße für sie heute noch Heimat, ihr Quartier halt.

Doro Rudde wohnt längst in Resse. Wenn es aber um „ihr“ Wohnquartier geht, dann zieht es die 45-jährige Leserbeirätin zurück zu ihren Wurzeln, zurück nach Ückendorf. Zurück in ihre Kindheit an der Bergmannstraße. In ihr Viertel, in dem sie bis zum Teenie-Alter gelebt hat. In die heile Welt der Bergmannssiedlung der Zeche Alma, in der Doro Rudde und ihr Bruder als Kinder alles „um die Ecke“ hatten.

Kindergarten, Grundschule, Tante Emma-Laden, Kiosk, Frisör, der Friedhof – und vor allem: Familie und Freunde. Ein Auto war überflüssig, die natürlichen Grenzen gesteckt. Eine war die Erzbahntrasse, die andere „Maumau“, wie man das Haus nannte, dessen Bewohner die Bergmannstraßen-Nachbarn nicht so lieb hatten. Ein Rundgang zurück – in die Erinnerung. . .

Stammhaus der Familie

„Hier leben viele Menschen schon seit Generationen.“ Doro Rudde lächelt. Manche kämen aus dem Quartier eben nicht raus. Wir stehen vor dem Haus Bergmannstraße 115, dem Stammhaus der Familie. Das alte Zechenhaus ist grau wie das Wetter an diesem Morgen. Die traumschöne Allee unterstreicht da eher die Tristesse des Straßenzugs, die dichten Kronen halten das trübe Licht ab.

Doro Rudde lässt Erinnerungen Revue passieren. Ihr Uropa, Steiger auf Alma, lebte als erster mit seiner Familie in dem damals neu gebauten Haus. Und ihr Onkel Heinz, „der letzte wahre Starkert und mein letzter Zeitzeuge für meine wahre Familiengeschichte“, der ist schon in Nr. 115 geboren. 1924 war das. Er war dabei, als die Bäume gepflanzt wurden, die sich heute wie ein schützendes Dach über die Bergmannstraße beugen.

Die 45-Jährige selbst hat nie im Starkert-Haus gelebt. „Bis zur Torgauer Straße gehörten die Häuser zur Zeche Alma“, zeigt sie noch schnell die alten Zuständigkeiten auf.

Ihre erste Wohnadresse: Bergmannstraße 78. Dorthin zogen Doro Ruddes Eltern quasi zu Fuß, trugen ihr Hab und Gut einfach quer über die Straße. Wir gehen den Weg nach. An der Ecke Schüfflerheide stutzt die Ückendorferin. „Als Kind wäre ich hier auf dem Schulweg fast angefahren worden“, sagt sie. Heute ist hier ein Zebrastreifen.

Vor Nummer 78 erzählt die freie Journalistin: „Mit den anderen Kindern und Müttern aus dem Haus haben wir oft hinten auf der Wiese gesessen und gespielt. Mit gemähtem Gras haben sie und die Nachbarkinder gern Wohnungsgrundrisse gelegt. Und dann spielte natürlich der Kindergarten eine wichtige Rolle. „Fräulein Elfriede Nigbur war meine Erzieherin.“ Sie lacht. Da war ihr Vater, Zeit seines Arbeitslebens Gießer und Former bei Thyssen, stolz drauf. „Und mein Teddy hieß Libuda.“ Womit auch die Fußballleidenschaft geklärt wäre.

Den Stadtteil gewechselt

Es kam die Grundschulzeit; die Wohnung wurde zu klein. Als Doro sechs Lenze zählte, zog die vierköpfige Familie ins Haus Bergmannstraße 30. Am Umfeld änderte sich nichts, sie blieb im Quartier. Aber: Doro lernte die Angst kennen. Angst, dass die schiefe Bude, wie sie das Haus heute noch nennt, in dem sie in der Dachgeschosswohnung ein kleines Zimmerchen hatte, eines Tages zusammenbricht. Auf dem kurzen Fußweg dorthin sagt sie plötzlich: „Mein Gott, den Schuster gibt’s ja immer noch.“

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Dann stehen wir vor dem großen Wohnhaus. Ein Blick genügt, um zu erkennen, was die 45-Jährige mit „schiefer Bude“ meint. Bergschäden haben dem Haus enorm zugesetzt. Zeichen für Leben „auf Kohle“. Hier hat Doro vier Jahre gewohnt. „Dann haben meine Eltern endlich den Stadtteil gewechselt und sind nach Bulmke gezogen.“ Sie guckt noch schnell auf die Namen neben den Klingeln. Nein, sie kennt keinen mehr von früher.

Linke Seite evangelisch, rechte Seite katholisch

Aber hier schlug die Geburtsstunde ihrer Pfadfinderschaft. „Ich wollte unbedingt mit meinem Bruder dort hin.“ Doro Rudde lacht. Sie durfte – „Und ich war das erste Mädchen in dieser Gruppe der DPSG St. Georg.“ Wir schlendern weiter zur Grundschule Hohenfriedberger Straße. Die Ückendorf-Liebhaberin, heute selbst Mutter eines Sohnes, erinnert sich: „Hier haben sie mich umgedreht von Links- auf Rechtshänderin.“ Etwas anderes hatte auch mit Richtung zu tun. „Linke Seite evangelisch, rechte Seite katholisch.“ Die ehemalige Schülerin der rechten Gebäudehälfte grinst. Strenge Sitten halt, damals ...

Direkt angrenzend liegt der katholische Neustadt-Friedhof. Hier ist das Grab von Onkel Heinz, der im November 2010 gestorben ist. Und die letzte Ruhestätte von Doro Ruddes Mutter, die nur 68 Jahre alt wurde. Da fällt der 45-Jährigen noch etwas aus Kindertagen ein. Wenn die Familie „in die Stadt“ gefahren ist, („das war immer ein Highlight“) hatte die Mutter ihre kleine Doro immer fest an der Hand.