Gelsenkirchen. Jedes fünfte Verfahren fußt auf dem Schwerbehindertenrecht: Das Sozialgericht öffnete seine Türen, um seine Arbeit und diesen Schwerpunkt vorzustellen. Für Besucher wurden Verhandlungen simuliert.
So gut waren Sitzungen im Sozialgericht lange nicht mehr besucht. Das hatte seinen guten Grund: Gestern konnten sich Besucher im Haus an der Ahstraße umsehen. Das Sozialgericht hatte zu einem „Tag des Behindertenrechts“ eingeladen. Dabei wurden Verhandlungen simuliert. Sozialverbände und Gewerkschaften gaben Tipps und Hinweise. Sie sind in der Regel die ersten Adressen für Menschen, wenn Behinderungen amtlich gemacht werden sollen. „Um sich einen rechtlichen Anspruch auf Vergünstigungen zu sichern“, sagt Beate Hanna (52) von der IGBCE. Dies sind z.B. mehr Urlaub, ein früherer Renteneintritt und Steuervorteile. Es geht aber auch um ermäßigte Eintritte und Fahrkarten.
Spielraum nach oben hin nutzen
Wird eine Behinderung festgestellt, muss bei der Stadt ein Antrag auf Anerkennung und Einordnung der Behinderung in Kategorien gestellt werden. Bis zu acht Monaten dauert dieses Verfahren. Wird der Antrag abgelehnt, oder fällt die Einstufung zu gering aus, wird dies ein Fall für das Sozialgericht.
8672 Verfahren (darunter 912 zur Feststellung von Rechtsschutz) wurden 2012 im Sozialgericht bearbeitet. In fast ein Fünftel der Fälle (19,40 Prozent) ging bzw. geht es um Schwerbehinderten-Angelegenheiten. „Von den 45 Kammern bei uns beschäftigen sich sechs ausschließlich mit diesen Fragen“, sagte gestern Richterin Fatos Özdemir. Insgesamt sind 27 Richter am Sozialgericht tätig.
Kriterien immer höher angesetzt
Im Laufe der Jahre hat die Zahl derer, die eine Behinderung anerkannt haben wollen, zugenommen, weiß Sybille Zederbohm-Schröder (62) Juristin beim DGB Rechtsschutz, die seit 30 Jahren im Schwerbehindertenbereich tätig. Zum eine liege dies am demografischen Wandel und zum anderen, an der Änderung der Vorgaben: „Früher wurde großzügiger bewertet. Aber nach und nach wurden die Kriterien für die Feststellung der Behinderungen immer höher gesetzt. Verschiedene Krankheitsbilder wurden ganz gestrichen.“
Nicht zuletzt deswegen habe die Zahl der Gerichtsverfahren in den vergangenen Jahren um gut ein Drittel zugenommen. Von der Bewertung der Anträge durch die Stadt wünschen sie sich und ihre Kollegin Maria Gomez Garcia (38) vom Gelsenkirchener Büro an der Overwegstraße 47, nicht nur Schema F anzulegen, sondern auch die individuelle Lage zu prüfen. Spielraum gebe es. Rücken-Erkrankungen können z.B. zu 10 bis 30 Prozent Behinderung führen. „Es wird aber immer der niedrigste Wert genommen.“ So wird das Verfahren schnell zu einem Fall für das Sozialgericht.