Gelsenkirchen. . Wirt Gerd Bosch und seine Frau Marlene waren Schalker durch und durch – immer gut drauf, immer für die Gäste da, immer mit Helfersyndrom. Die Gaststätte in Gelsenkirchen war einst Treffpunkt für Fans und Spieler. Mannschaftsmitglieder haben sich aber schon länger nicht mehr Blicken lassen.

Die Kneipe, sagt er, ist von 1957. „Seitdem wohne ich in Gelsenkirchen.“ Falsch. Gerd Ritter, Ehrenpräsident von „Kuzorras Enkeln“, ist ein Schelm. Er wohnt in Hattingen. Aber „Bosch“ ist zweite Heimat, die Schalker Kneipe schlechthin, direkt an der Glückauf-Kampfbahn.

„Bosch“, die Stammkneipe der Knappen-Fans, der Ort, wo man gemeinsam nach Niederlagen weint, wo man nach ein paar Gezapften wieder aufsteht, wie es sich für echte Schalker gehört, wo nach dem Spiel vor dem Spiel ist. Bosch, der Laden, in dem man über die Mannschaft fabuliert, wo der Zapfhahn hinter der schweren, dunklen Theke glüht und die Luzie abgeht, wenn die Königsblauen siegen. Der Ort, an dem kollektiv die Tränen flossen, als die Knappen in die 2. Liga abstiegen und wo man 2001 vier Minuten lang vor Freude tobte, bis die Bayern Schalke den Meistertitel quasi aus den Händen schossen.

Bosch – ein legendärer Name

„Bosch“, der Name ist Programm. Auch wenn Gerd Bosch lange tot ist. Am 14. Juli 1998 ist der legendäre Wirt gestorben. Sein Name lebt weiter. Keiner der Nachfolger hat je daran gerührt. Denn Gerd Bosch und seine Frau Marlene, das waren Schalker durch und durch, sagen die, die das Paar kannten. Und das sind eigentlich alle Kneipen-Gäste von Ronald Marcinkowski (52) und seiner Frau Lydia (49), den heutigen Wirten – kaum ein Gast ist ohne „Stamm“ davor.

So wie „Enkel“-Fanclub-Vorsitzender Ralph Barthlomaycyk, den man hier nur als Batto kennt. „Wir sind Inventar“, sagt die „Schalker Hausgeburt“ und Chef des 170-köpfigen Clubs, dessen Keimzelle neben der Kampfbahn aber erst 2001 aufging. Gut Ding will eben Weile haben.

Charme der 60er Jahre

27 Jahre lang hatte Gerd Bosch, Typ Alleinunterhalter – „immer gut drauf, immer für seine Gäste da, immer mit Helfersyndrom“ – den Laden geschmissen. Eigentlich könnte der Laden mit dem Charme der 1960er Jahre und zahllosen Erinnerungsstücken auch „Tibulski“ oder „Bei Ötte“ heißen. Der frühere Schalke-Spieler war der Wirt der ersten Stunde. Bis 1971, bis Bosch kam. Die Gäste übernahm er gleich mit, oder besser gesagt: Er übernahm die Schalker Familie. Und damit auch Gerd Reiter, Batto & Co.

24 Kilometer trennen Reiter von seinem „Zweitwohnsitz“. Wie ein Hattinger Schalke-Fan wird? Er schmunzelt. „Man hat immer einen Vater oder einen Onkel.“ Reiter saß 1958 als junger Bursche mit im Zug von Hannover nach Gelsenkirchen, nachdem die Königsblauen mit 3:0 die Deutsche Meisterschaft klar gemacht hatten. Und zarte fünf Jahre war er, als er mit Onkel Paul Müller sein erstes Heimspiel an der Glückauf-Kampfbahn sah. Den Ernst Kuzorra, dessen Stammplatz in der Kneipe ein goldenes Namensschild ziert, hat er mal beim Bierchen gefragt, wie um alles in der Welt er damals ausgerechnet Trainer in Lüdenscheid werden konnte. „Wahrscheinlich, weil es da ein paar Mark Lohn gab“, mutmaßt der 70-Jährige. Aber das ist längst verziehen.

Mulder und Neuer kamen zum Essen 

Beim Thema Geld kommt der Enkel-Ehrenpräsident arg in Wallung. Millionen-Ablösesummen für Spieler, „das macht mich wütend“, sagt er. „Die Hälfte der Fans in der Nordkurve lebt von Hartz IV. Die geben ihr letztes Hemd dafür her, um ihre Schalker spielen zu sehen.“ Kein gutes Gefälle. Eher traurig stimmt den Bosch-Stammgast dagegen anderes. „Früher war es üblich, dass nach jedem Heimspiel ein Spieler hierher kam.“ Der letzte, an den er sich erinnern kann, ist Youri Mulder. Wirtin Lydia Marcinkowski begrüßte viel später noch mal einen Besucher. „Abends kam Manuel Neuer mal vorbei und wollte eine Frikadelle essen.“ Es gab aber keine mehr. Da habe der Schalke-Keeper Pommes genommen, sich zu den Leuten gesetzt und sich mit ihnen unterhalten. Aber auch das gehört längst zur Geschichte von Bosch.

Die Last, Wirtsleute eines Kult(ur)-Denkmals zu sein

Ronny und Lydia Marcinkowski sind „geborene Wirtsleute“. Das sagt die 49-Jährige über sich und ihren Mann. Ronnys Mutter habe selbst mal hier gearbeitet. Sie zückt ein Bild hervor. „Das ist sie.“

Die Marcinkowskis waren Wirtsleute des Lokals „Pink Panther“ in Buer und – ebenfalls im Norden – der Gastronomie im Hotelrestaurant „Zum Schwan“. „Bosch“ zu übernehmen, das war Lydia Marcinkowskis Idee. Sie kannte den Laden, hatte hier selbst mal als Aushilfe gearbeitet. Am 1. August 2004 war’s soweit. Nach dem Tod von Gerd Bosch gab es verschiedene Pächter der Kneipe. Vorgänger des Ehepaars war Günter Hellwig. „Wenn Bosch zumachen würde, gäbe es keine offizielle Schalke Kneipe mehr“, sagen Tresengäste – da ruht die Last des Kult-Denkmals auf den Schultern der Wirtsleute.

Die Laufkundschaft fehlt

„Die Gäste sind klasse. Schalker, das ist ein ganz anderer Menschenschlag.“ Das Lob muss Lydia Marcinkowski mal los werden. Auch, wenn der Laden nur zu bestimmten Zeiten brummt. „Die Laufkundschaft fehlt, weil es weit und breit keine Geschäfte gibt. Hier ist rund herum alles tot.“ Wohl wahr. Trotzdem öffnen die Zwei täglich um 14 Uhr; nur montags ist Ruhetag. Der Saal neben dem Schankraum, den „Kuzorras Enkel“ mit auf Vordermann gebracht haben, ist Treffpunkt für Feste und Versammlungen. Die Enkel sitzen dann hier, und die Erben der Glückauf-Kampfbahn, also die Mitglieder von Teutonia Schalke. „Wir tragen zwar Rot-Weiß, aber im Herzen sind wir alle Schalker“, sagt der zweite Vorsitzende Bernhard Ludscheidt. Die Mannschaft trifft sich bei Bosch vor jedem Auswärtsspiel. Wirt Ronny ist Mitglied, auch im Fan-Club, Ehrensache – versteht sich.

Freundschaften mit fußballverrückten englischen Fans geschlossen

Für den Fußballplatz hinter ihrer Kneipe wünscht sich Lydia Marcinkowski mehr Werbung. „Das Schild müsste wieder hin. Das ist doch eine alte Sportkultstätte“, sagt sie. „Die findet doch keiner von auswärts.“ Und lobt in diesem Zusammenhang die Ultras. Die würden sich sehr engagieren für die Glückauf-Kampfbahn, ihre Sommerresidenz. Ein echter Höhepunkt war die Weltmeisterschaft 2006. Von den Titelkämpfen schwärmt Claudia Wupper (57) heute noch.

Seite an Seite mit Helmut Rahn

Sie ist quasi ein Kind des Hauses und über der Kneipe aufgewachsen. Vater Artur Lendzian, der eine Versicherungsagentur geführt hatte, kannte sie alle, die Knappen. Und ihr 16 Jahre älterer Bruder Rolf Lendzian stand als Fußballprofi auch für Schalke auf dem Platz, bevor er im Jahr 1961 zum niederländischen Erstligisten Enschede wechselte und dort Seite an Seite mit dem legendären Helmut Rahn spielte. Das sei mal nur nebenbei erwähnt.

Claudia Wupper jedenfalls spürte 2006 „eine echte Verbundenheit mit der Welt. Das war super. Am besten waren die Engländer“, ruft sie die Zeit des Gelsenkirchener Sommermärchens in Erinnerung. Es seien bei den Kneipen-Begegnungen mit den fußballverrückten Anhängern von der Insel echte Freundschaften geschlossen worden. Zoff unter Fans? Claudia Wupper sagt: „Hier gab es nicht eine einzige Eskalation.“