Gelsenkirchen. . Sexuelle Gewalttaten werden in Gelsenkirchen häufiger im häuslichen und bekannten Umfeld des Opfers als im öffentlichen Raum begangen. Die meisten Fälle kommen dabei jedoch erst spät oder gar nicht ans Licht. Denn viele betroffene Frauen suchen keine oder erst Jahre später Beratungsstellen auf.

Die Vergewaltigung der 38-jährigen Joggerin am Stadtgarten am vergangenen Dienstag hat selbst hartgesottene Ermittler geschockt. „An einen ähnlich brutalen Fall in jüngster Zeit kann ich mich nicht erinnern“, sagte Polizeisprecher Konrad Kordts.

Die Polizei ermittelt noch, Zeugen haben sich aber bereits gemeldet. Die WAZ hatte nach der Häufigkeit von sexueller Gewalt in Gelsenkirchen und Schwerpunkten gefragt. „Zu Stadtteilen, Alter, Nationalität, Jahreszeit etc. sind verlässliche Aussagen nur möglich, wenn man jede Straftat auswertet. Dies würde den Rahmen sprengen. Die Höhe der Dunkelziffer kann nicht seriös beantwortet werden und ist Spekulation“, lautete die wenig aufschlussreiche Antwort.

Zahlen für 2012 werden im März veröffentlicht

Was Kordts, der nach eigenen Angaben selbst zehn Jahre lang in leitender Funktion Sexualdelikten nachgegangen ist, aber liefern konnte, sind Fakten aus den Jahren 2010 und 2011: So registrierte die Polizei da insgesamt 18 bzw. 29 Fälle von sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Eine Zunahme von 61 Prozent, wobei 16 Straftaten (2010) und 26 Delikte vor zwei Jahren aufgeklärt wurden. Die Zahlen für 2012 werden erst am 11. März veröffentlicht, Kordts sprach aber von einer „rückläufigen Tendenz.“

Brutale Vergewaltigungen im öffentlichen Raum, wie die am Stadtgarten, sind in Gelsenkirchen selten. Auch die Gleichstellungsbeauftragte Gaby Schäfer hat im Rahmen ihrer Arbeit und mit dem Präventionsrat die Erfahrung gemacht, dass es keine Brennpunkte in der Stadt gibt, in denen es vermehrt zu sexuellen Übergriffen im öffentlichen Raum kommt. „Und die Angsträume vieler Frauen in Parkhäusern und U-Bahnhöfen haben wir schon mit viel Licht und Kameras bzw. mit gut einsehbaren Frauenparkplätzen ausgestattet.“

Frauen trauen sich oft nicht, um Hilfe zu bitten

Die Zahl der sexuellen Gewalttaten im häuslichen bzw. bekannten Umfeld ist deutlich größer als im öffentlichen Raum mit fremden Personen, in Gelsenkirchen wie bundesweit. Aber in beiden Fällen gilt, dass Frauen sich oft gar nicht oder erst nach Jahren trauen, um Hilfe zu bitten bzw. darüber zu sprechen.

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„Wir hatten im vergangenen Jahr über 100 Beratungsgespräche mit Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Sehr viele bezogen sich auf länger zurückliegende Fälle“, erklärt Sultan Lunkenheimer. Die Sozialpädagogin und traumatherapeutische Fachberaterin vom Notruf und ihre Kolleginnen (siehe Box) helfen Betroffenen auf Wunsch auf anonym, erklären Folgen einer Anzeige und bieten – zum Teil – Therapiegespräche, auch über einen längeren Zeitraum, an. Die Wartezeit für einen Therapieplatz jenseits der Beratungsstellen beträgt in der Regel mehr als ein halbes Jahr.