Gelsenkirchen. Der Angeklagte streitet alles ab, die Hauptzeugin kann nicht mehr aussagen: Wenige Tage nach Tat ist das 29-jährige Vergewaltigungs-Opfer gestorben. Auf der Anklagebank sitzt ihr früherer Ehemann. Er sagt, seine Ex-Frau habe ihn erpresst und die angebliche Vergewaltigung als Druckmittel eingesetzt.
Den wichtigsten Zeugen der mutmaßlichen Vergewaltigung kann die VI. Essener Strafkammer nicht mehr vernehmen. Die Frau ist tot, starb im Alter von 29 Jahren wenige Monate nach dem Tattag an den Folgen ihrer Diabetes-Erkrankung. Auf der Anklagebank sitzt ihr früherer Mann, der die Vorwürfe bestreitet.
Nichts von dem, was seine Ehefrau bei der Polizei ausgesagt hatte, stimmt, sagt der 43 Jahre alte Witwer. Sie hätte ihn erpresst und die angebliche Vergewaltigung als Druckmittel genutzt. In U-Haft sitzt er, nachdem er bei einem früheren Termin nicht gekommen war.
Von Gewalt, von lautstarken Auseinandersetzungen muss die Ehe geprägt gewesen sein. Seit 2009 war er mit der deutlich jüngeren Frau verheiratet, ein gemeinsamer Sohn starb früh eines natürlichen Todes. Zum Schluss hatte sie sich von ihm getrennt, lebte am Rande der Gelsenkirchener Innenstadt in einer eigenen Wohnung. Dort soll der Angeklagte sie am 17. März 2011 besucht und vergewaltigt haben.
Die Erblindete war auf Hilfe angewiesen
Schon da war sie eine schwer kranke Frau. Durch ihre Zucker-Krankheit mit Bluthochdruck hatte sie im Dezember 2010 das Augenlicht verloren. Die vollständig Erblindete war auf Hilfe angewiesen. Als sie im Januar 2011 in eine Reha-Klinik eingewiesen wurde, begleitete ihr Ehemann sie. Probleme gab es. Eine Krankenschwester erinnert sich, dass die Ehefrau sich ab und an im Ton vergriff. Aber auch der Mann habe sich energisch in den Therapieplan eingemischt.
Am 15. Januar soll es in der Klinik zu einem heftigen Streit zwischen den Eheleuten gekommen sein. Der Mann, so heißt es in der Anklage, hätte medizinische Hilfsmittel seiner Frau zerstört, außerdem ihren Schwerbehindertenausweis, Fotos und die Versicherungskarte zerrissen. Danach soll er die Klinik verlassen und ihre sprechende Uhr, den MP3-Player und ein Handykabel mitgenommen haben.
Anzeigen dann wieder zurückgezogen
Mehrfach hatte die Frau in der Vergangenheit ihren Mann wegen Gewalttätigkeiten beschuldigt, die Anzeigen dann aber wieder zurückgezogen. Am 17. März rief sie wieder die Polizei. Aufgelöst und mit vielen Tränen beschuldigte sie ihren mittlerweile getrennt von ihr lebenden Mann der Vergewaltigung, erinnert sich eine Polizistin: „Sie sagte noch, dass er ihr nach der Tat 50 Euro und Lebensmittel aus dem Kühlschrank gestohlen hat.“ Glaubwürdig sei ihr die Frau erschienen. Einen Eindruck, den auch die Kripo-Beamtin bei der Polizei gewann. Der Frau sei es nicht um die Bestrafung des Mannes gegangen, sie habe differenziert: „Wenn er es als gesunder Mensch getan hat, dann muss er zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn er psychisch krank ist, dann soll ihm geholfen werden. Er hätte auch andere Frauen geschlagen, sagte sie, und das müsse aufhören.“ Verängstigt hätte sie gewirkt. Der Mann sei machohaft, rechthaberisch, gewalttätig und sexsüchtig, sei aus den Schilderungen der Frau deutlich geworden.
Nach der Vergewaltigung noch beklaut
Rücknahmen früherer Anzeigen hätte ihr Mann auf dem PC formuliert und sie unterschreiben lassen, habe sie ihr wechselhaftes Verhalten erklärt. Warum sie diesmal konsequenter bleiben wollte? „Sie war sauer“, sagt die Vernehmungsbeamtin, „weil er sie nach der Vergewaltigung noch beklaute. Dass sie so billig war, sich das auch noch gefallen lassen zu müssen“.
Der 43-Jährige, mehrfach vorbestraft wegen Körperverletzungen gegen Partnerinnen, signalisiert mit seiner Mimik bei vielen der Vorwürfe, er höre sie zum ersten Mal. Wie vor Gericht hatte er auch bei seiner polizeilichen Vernehmung die Vorwürfe komplett bestritten. Ein Kripo-Beamter: „Er war relativ gelassen. Sein Verhalten zeugte vom absoluten Unschuldsbewusstsein.“ War das glaubwürdig, will Richter Oliver Greff wissen. „Für mich war es nicht überzeugend“, antwortet der Polizist.