Gelsenkirchen. . Krippen- und Kalender-Produktion ist für Vinzenz-Brüder und Wohnungslose im Wilhelm-Sternemann-Haus in der Altstadt mehr als nur Bastelarbeit. Die Beschäftigung gibt dem Tag Struktur.

Heiligabend, Neujahr, Karneval, Allerheiligen: Es gibt keinen Tag im Jahr, an dem das Wilhelm-Sternemann-Haus nicht geöffnet hätte. An 365 Tagen im Jahr sind die Räume im Backsteinbau mit dem stolzen Türmchen an der Husemannstraße 52 Anlaufstelle für Wohnungslose, für Menschen in Not, für Einsame, für Alkoholiker. Seit gut 28 Jahren geht das so. Und seit vielen Jahren ist auch Heinz Banning fester Bestandteil dieser Hilfe. Er gehört zur Vinzenz-Bruderschaft, zu den Menschen, die den Caritas-Gedanken mit ehrenamtlichem Einsatz leben. Banning ist in der Teestube im Dauer-Einsatz. Längere Auszeiten? Nicht mit ihm. Er war da, nachdem vor wenigen Tagen seine Frau starb, er ist da, wenn er diese Woche ein Jährchen älter wird. Seinen 85. Geburtstag feiert Heinz Banning am 5. Dezember.

Eine warme Mahlzeit für 50 Cent

Das Frühstück für die Besucher, das gemeinsame Mittagessen, das traditionelle Tischgebet, die monatlichen Geburtstagsfeiern mit den Wohnungslosen und die Bibel-Stunden im Kreis der Straßenszene – all das ist auch für den Vinzenz-Bruder zum festen Alltags-Rahmen geworden. Für 40 Cent gibt es das Frühstück, für 50 Cent wird eine warme Mahlzeit aufgetischt. Die Essen werden gekocht geliefert und in der kleinen Küche aufgewärmt und portioniert. „Wer nichts hat, kann die Beträge aber auch abarbeiten und zum Beispiel die Tische abputzen oder den Hof fegen“, sagt Banning.

An die 50 Leute kommen täglich in die Teestube allein zum Essen. Viele bleiben, wärmen sich, reden, lesen, spielen Karten. Geraucht werden darf seit etwa einem Jahr nur noch draußen vor der Tür. „Das war erstmal schwer, eine Umstellung“, sagt ein Besucher. „Aber es geht.“ Alkoholkonsum und aggressives Benehmen sind in den Räumen tabu. Aber wer angetrunken kommt, wird nicht weggeschickt. „Die Leute können alkoholisiert kommen, aber sie dürfen dann nicht stänkern“, sagt Stefan (56). Wer hier aufschlägt, hat in der Regel das volle Programm mitgemacht: Drogen, Obdachlosigkeit, Jobverlust, das Ende familiärer Bindungen, oft auch Knast. „Wir wollen die Leute wohnfähig machen und wohnfähig halten. Im Laufe der Jahre sind wir froh, wenn wir einige wieder in Arbeit kriegen“, sagt Banning. Es gibt diese Erfolgserlebnisse, diese Kehrtwenden zurück ins bürgerliche Leben, flankiert durch die Arbeit der Caritas.

Ein wenig gehören dazu auch die Bastelarbeiten im Advent. Alle zwei Jahre entsteht in der Teestube ein Kalender, aktuell mit Linolschnitten „So 30 Stück sind noch gegen eine Spende zu haben“, schätzt Banning. Jedes Jahr werden auch Krippen gebastelt. Sieben werden es diesmal sein. „15 Figuren, der Stall, alles handgefertigt“, sagt Stefan. Und Carsten, der „Löter und Tiffany-Experte“, hat rund „100 Engel gemacht. Die gehen immer schnell weg“ – und es hört sich stolz an.

„Ohne kann ich schon gar nicht mehr leben“ 

Vom Geld, das durch die Bastelarbeiten für Basare verdient wird, profitieren die Besucher im Wilhelm-Sternemann-Haus: Vom Überschuss werden Tagesausflüge finanziert. Im Schloss Horst waren die Klienten der Caritas-Wohnungslosenhilfe beispielsweise auf Museumstour, nächstes Jahr soll es in die Zoom-Erlebniswelt gehen. „Und auf den Nordsternturm wollen wir auch noch rauf“, sagt einer aus dem Mittwochskreis, von dem die Handwerksarbeiten maßgeblich ausgeführt werden.

Feste Tagesstrukturen sind vielen Besuchern wichtig – und das Gefühl, irgendwo dazu zu gehören. „Ich bin seit vier Jahren ohne Job“, sagt Carsten, der als „1,50-Euro-Jobber in der Küche“ hilft. Maler und Lackierer hat er gelernt, seit einem dreiviertel Jahr kommt er regelmäßig. „Ich fühle mich wohl, das ist halt eine Beschäftigung mit den Leuten hier, das macht Spaß.“ Überlebenswichtig ist der Kontakt für Klaus Peter. „Von einem Heim zum anderen“ wurde er als Kind weitergereicht, im Leben hat er vor weiteren Hürden gestanden. Aktuell hat er eine Bleibe, „aber ohne Wasser“. In die Teestube kommt er seit über 20 Jahren. „Ohne kann ich schon gar nicht mehr leben.“

Einer, der täglich kommt, ist auch Stefan. Nicht zuletzt, „um vom Alkohol weg zu sein. Ich bin seit einem Jahr trocken. Ich brauche Beschäftigung. Man kriegt den Tag gut rum, das ist wie eine Familie, das gibt schon Halt hier“, sagt er. Demnächst wird er in eine Reha-Maßnahme gehen. Bis dahin bleibt die Teestube sein täglicher Anker. Und der Glauben. „Ich habe früh durch Schicksalsschläge Gott gefunden“, sagt er und weiß die Hilfe auch der Vinzenz-Brüder zu schätzen. „Das ist nicht selbstverständlich, was hier geschieht. Das sollte noch mehr unterstützt werden.“

Kleiderkammer, Dusche, Beratung und medizinische Hilfe

Die Wohnungslosenhilfe der Caritas bietet in der Altstadt (Husemannstraße 52, täglich ab 10 Uhr), in Horst (Weißes Haus) und Buer (Regenbogenhaus) Treffs und Teestuben. Im Wilhelm-Sternemann-Haus haben aktuell 114 Personen ihre Postanschrift: Voraussetzung für den Bezug von Sozialleistungen.

Einige Besucher übernachten im „Bunker“, der städtischen Notschlafstelle. „Der größte Teil unserer Klienten lebt in unsicheren Wohnverhältnissen, sagt Klaus Hegmann. Der stv. Teamleiter Wohnen gehört aktuell zum dreiköpfigen Fachberater-Team. Über die Jahre hat er einen höheren Anteil an Jüngeren registriert, die wohnungslos sind. Zu den Hilfs-Angeboten zählen Kleiderkammer, Dusche, Betreutes Wohnen und aufsuchende medizinische Hilfe.