Gelsenkirchen. Betül Durmaz ist als Tochter türkischer Gastarbeiter groß geworden. In ihrem Buch "Döner, Machos und Migranten" kämpft sie für die Chancengleichheit. Im Interview erklärt die Autorin unter anderem, warum sie es als Migrantin in Deutschland geschafft hat.
Betül Durmaz (40) ist Lehrerin an der Malteserförderschule in der Neustadt. Ihre Erfahrungen als Sonderpädgogin in einem sozialen Brennpunkt hat sie nun in ihrem Buch „Döner, Machos und Migranten” niedergeschrieben. WAZ-Mitarbeiterin Melanie Meyer sprach mit ihr über ihr „zartbitteres Lehrerleben”.
Ihr Buch geht momentan durch sämtliche Medien. Wie kamen Sie auf die Idee, Ihre Erfahrungen zu veröffentlichen?
Betül Durmaz: Der ganze Medienhype überrascht mich immer wieder. Erst wollte ich nämlich das Buch gar nicht schreiben, der Herder-Verlag hat mich quasi überredet. Aufgrund eines Artikels in der TAZ vor zwei Jahren ist er auf mich aufmerksam geworden. In dem Artikel wurde über mich als Lehrerin mit Migrationshintergrund und meine Arbeit mit Migranten berichtet. Der Verlag hat dann zu mir gesagt: „Frau Durmaz, das ist ein hoch aktuelles Thema” und gefragt, ob ich nicht ein Buch dazu schreiben wolle. Ich habe es dann doch gemacht. Frei nach dem Motto „Das will sowieso kein Mensch lesen”.
Sie unterrichten Jugendliche, gerade Migranten, die es schwer haben in Deutschland. Warum haben Sie es als Migrantin in Deutschland geschafft?
Durmaz: Einen großen Anteil haben meine Eltern: Denn sie haben mir nie Steine in den Weg gelegt und enormen Fleiß und Ehrgeiz vorgelebt. Sie sind 1971 mit mir und meinem Bruder aus Istanbul ins Ruhrgebiet immigriert. Hier haben wir dann Kindergarten, Grundschule, Gymnasium, Universität durchlaufen. Dieser Bildungsanspruch, den meine Eltern hatten: Das ist heute bei vielen Familien nicht mehr so. Unsere Schüler sind Kinder der zweiten und dritten Hartz IV-Generation und teilweise die einzigen in der Familie, die einen geregelten Tagesablauf haben. Sie gehen zur Schule, während die Eltern noch im Bett liegen.
Haben Sie aufgrund ihres Hintergrunds einen besonderen Zugang zu Ihren Schülern und Eltern?
Durmaz: Bei den Migranten ist es für mich sicher leichter: Ich selbst spreche Türkisch, sehe mich als europäische Türkin und Muslimin. Deshalb habe ich einerseits einen besonderenZugang zu den muslimischen Eltern, das nenne ich den „Moslem-Bonus”. Andererseits bin ich für fundamentalistische Hardliner immer eine Reizfigur und das führt bisweilen zu Konflikten. Denn ich verstelle mich nicht, trage kein Kopftuch und lebe den Schülern meine Lebensweise vor. Als mich ein Junge deshalb einmal übel beschimpfte, habe ich ihn angezeigt. Auch wenn ich weiß, dass das sein Verhalten wahrscheinlich nicht ändern wird: Ich wollte ein Signal setzen.
Was sind für Sie persönliche Erfolge bei der Arbeit?
Durmaz: Persönliche Erfolge sind bei uns natürlich anders gesteckt als am Gymnasium. Ich freue mich über Teilziele, wie wenn ein Mädchen mit zum Schwimmunterricht darf, wenn eine Schülerin mit auf Klassenfahrt kommt oder wenn ein bestimmter Schüler nicht sofort ausrastet. Und natürlich freut man sich auch, wenn eine ehemalige Schülerin ihren Hauptschulabschluss nachholt oder ein anderer eine Ausbildungsstelle bekommt. Da denkt man sich „Ja, wir haben es geschafft”, denn es ist auch mein Ziel, dass die Schüler halbwegs in der Lage sind ein eigenständiges Leben zu führen. Auch wenn die Erfolgsgeschichten prozentual geringer sind als die negativen, so habe ich auch solche aufgeschrieben.
Wie sind die Reaktionen auf Ihr Buch?
Durmaz: Viele sind überrascht, wie der Alltag an einer Förderschule mit einem 60-prozentigen Migrantenanteil aussieht. Wir leisten pädagogische Schwestarbeit. Und was in den Reaktionen auf das Buch oft zu wenig gesehen wird: An unserer Schule gibt es auch deutsche Schüler mit Problemen - Es handelt sich nicht in erster Linie um eine Migrantenproblem, das ich beschreibe, sondern vor allem um ein Schichtzugehörigkeitsproblem. Der Sohn eines libanesischen Arztes ist nicht Schüler unserer Schule.