Gelsenkirchen. . Warum Menschen ihrem Leben ein Ende setzen wollen, bleibt oft völlig unklar. Die Diakonie bietet im September nun eine Veranstaltungsreihe an, in der über Hintergründe aufgeklärt werden soll und die vor allem Angehörigen helfen soll, mit dem Unerklärlichen umzugehen.
Was treibt Menschen in die Selbsttötung? In Deutschland schieden im letzten Jahr 9000 Verzweifelte freiwillig aus dem Leben. Suizid zählt zu den zehn Haupttodesursachen. Doch gesprochen wird über den Freitod nicht, er gilt als Tabu-Thema. Das Diakoniewerk will sich dem sensiblen Bereich anlässlich des „Weltsuizid-Präventionstages 2012“ mit einigen Vorträgen und einer Ausstellung nähern.
Sucht, Depressionen, Psychosen, Partnerverlust oder Lebenskrisen sind einige der Gründe, die Menschen vermeintlich keinen anderen Lösungsweg als ihren Tod mehr lassen. Von den Selbsttötungen sind in 40 Prozent der Fälle Menschen ab 60 Jahren betroffen. Wobei Männer um die 80, so hat eine Studie ergeben, am stärksten gefährdet zu sein scheinen.
Bei Selbsttötungsversuchen jüngerer Menschen sind mehr Frauen als Männer betroffen. In Gelsenkirchen verstarben im Jahr 2010 durch Suizid 28 Personen, darunter 19 Männer und 9 Frauen. In NRW hatten sich im gleichen Jahr 1796 Menschen das Leben genommen; 1340 davon Männer und 456 Frauen.
Wege aus Krisensituationen
Die Veranstaltungsreihe wird von dem Projekt „Lebenslinien – Krisenbewältigung im Alter“ begleitet. Jörg Awiszio, der das Projekt betreut, ist Diakon in der evangelischen Kirchengemeinde Buer/Beckhausen. Der Gestalt-Therapeut arbeitet seit eineinhalb Jahren mit Senioren zusammen, um gemeinsame Wege aus Krisensituationen zu entwickeln. Lebenskrisen können sich so weit ins Bewusstsein von Menschen graben, bis diese keine freie Entscheidung mehr treffen können. Der Suizid scheint der einzige Ausweg.
Die Themen, mit denen sich das Diakoniewerk zwischen dem 29. August und 27. September auseinandersetzen will, sollen Bürgern verdeutlichen, dass das Thema alltäglich ist und uns alle berührt. Auch über die Trauerarbeit von Angehörigen, die ihren Liebsten verloren haben und keine Antworten auf ihre bohrenden Fragen finden, soll gesprochen werden.
Trauernde von Schuldgefühlen entlasten
„Die Hinterbliebenen“, so Jörg Awiszio, „fühlen sich oft allein gelassen mit der Trauer. Glauben, mitschuldig zu sein, fragen, warum sie den Verzweifelten nicht retten konnten.“ Polizeiliche Ermittlungen nach dem Freitod, bei denen Freunde und Angehörige schnell selbst in Verdacht geraten, belasten die Trauernden zusätzlich.
Eine Ausstellung vom 3. September bis zum 27. September im Kapellengang der Evangelischen Kliniken soll mit dazu beitragen, Trauernden einen Schritt zur Sprachfähigkeit zu ermöglichen, sie von Schuldgefühlen zu entlasten.
Die Dokumentation „Gegen die Mauer des Schweigens, Suizid – keine Trauer wie jede andere“ gibt Anregungen zur Unterstützung, dokumentiert aber auch die häufige Sprachlosigkeit wie Ohnmacht vieler Angehöriger, den Tod nicht begreifen und verarbeiten zu können.
Ausstellung und Vorträge
Die Evangelischen Kliniken laden zusammen mit dem Projekt Lebenslinien – Krisenbewältigung im Alter“ zu mehreren Veranstaltungen ein.
Am 29. August referieren Professor Klieser, Chefarzt der Evangelischen Kliniken, und Jörg Awiszio um 18 Uhr in der Klinik darüber, wie Suizid in der Familie und im Umfeld erlebt wird, wie das Tabu, nicht darüber zu sprechen, gebrochen werden kann. Eckhard Ayan gibt die Betroffenheit aus Sicht muslimischer Familien wieder.
Am 13. September, 18:30 Uhr, wird in einer Diskussion die Doppeldeutigkeit des Begriffs „sich das Leben nehmen“ beleuchtet. Im Gemeindehaus Bulmke, Florastraße 119, referiert Hubert Edin, Theologe, Sozialpädagoge und Psychotherapeut und diskutiert mit den Zuhörern über die Möglichkeiten des Umgangs mit Menschen in Krisen.
Mit dem Schweigen, der Sprachlosigkeit nach Gewaltereignissen befasst sich das Theaterstück „Kennst du noch die Trümmerblumen“. Das Stück unter der Regie von Caroline Kühnl wird am 22. September um 19:30 Uhr in der Christuskirche, Kleine Bergstraße 7, aufgeführt. Info: www.meinediakonie.de