Gelsenkirchen. Superintendent Rüdiger Höcker im Interview über Basis-Arbeit, Erfolge und die Kirche der Zukunft.

Mit 75 Stimmen hat die Synode des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid Ende Juni Superintendent Rüdiger Höcker wiedergewählt. Nach acht Jahren als leitender Geistlicher des Kirchenkreises mit rund 95.000 Mitgliedern in 15 Ortsgemeinden hängt Höcker eine halbe Wahlperiode an. In vier Jahren wird er 65 – dann ist es Zeit für den Eintritt in den Ruhestand. Weit entfernt... Bis dahin bleibt für ihn und seine Kirche noch viel zu tun.

Entscheidungsprozesse in der evangelischen Kirche sind nicht gerade einfach. Warum tuen Sie sich das an?

Rüdiger Höcker: „Wir sind durchaus stolz auf dieses System. Man erwartet von einem Kirchenkreis ja nicht unbedingt, dass er zutiefst basisdemokratisch ist. Aber wir sind eine Kirche, die sich von unten nach oben aufbaut, die aufs Ehrenamt setzt. Die Evangelische Kirche von Westfalen ist eine Netzwerkorganisation. Da muss einem schon ein wenig Anarchie liegen, um in diesem Netzwerk zu Ergebnissen zu kommen. Die letzte Synode hat zehn Stunden gedauert. Parlamentarismus stellt sich auch in Papier dar. Wir hatten einen dicken Ordner voll Vorlagen zu bearbeiten. Es sind ziemlich kommunikative Herausforderungen, um sich in diesem System zu bewegen

Was haben Sie bewegt? Was bewegt Sie?

Höcker: Als ich angetreten bin, stand bald fest, dass ich mich mit innerkirchlichen Problemen befassen musste. Jeder vierte Euro, den Presbyterien oder die kreiskirchlichen Dienste 2005 ausgaben, war nicht durch Einnahmen gedeckt. Wir mussten Sparprozesse einleiten. Für die Konsolidierung haben wir Stellen und Kirchen aufgegeben. Aber man weiß: Es gibt keine Alternative. Die Entscheidung ist schwierig und fällt extrem schwer. Sich aus Kindergärten zurückzuziehen wie aktuell, das lässt einen auch nicht ungerührt.

Besonders getroffen hat uns 2007 die Insolvenz der GABS, die zwischendurch die größte kirchliche Qualifizierungsgesellschaft in Deutschland mit Hunderten Mitarbeitern war. Das war keine einfache Situation und hat viele schlaflose Nächte gekostet.

So viel Last – was macht dann Lust?

Höcker: Spaß macht die Arbeit in einem Netzwerk, in dem unheimlich viel Kompetenz zu Hause ist, in dem man mit unheimlich vielen kreativen Menschen zusammenwirken kann, die bereit sind zu gestalten, mitzudenken, Verantwortung zu übernehmen. Das alles hat Zufriedenheitscharakter. Außerdem bin ich eine preußische Existenz. Dinge, die ich angefangen habe, will ich auch zu Ende bringen.

Als da wären?

Höcker: Wir haben eine Entschuldungsstruktur geschaffen und ein Regelwerk, um damit umzugehen. Wir arbeiten an einer Gebäudekonzeption und einer neuen Satzung. Zudem möchte ich inhaltliche Fragestellungen anstoßen, zum Beispiel in der Debatte, wie Seelsorge unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts aussehen sollte. Eine weitere Diskussion, die ich anstoßen möchte, ist die, wie wir mit unserer Verschiedenheit umgehen: mit sozialen Unterschieden, mit religiösen Bruchlinien, zwischen Alten und Jungen, Frauen und Männern. Es gibt schon eine starke Hartz-IV-Arbeit im Haus des Kirchenkreises. Auch da gilt es, sich als Kirche sprachfähig zu erweisen. Wir haben eine Botschaft. Aber die Botschaft lebt davon, wie sie ankommt. Wir stehen immer noch mitten in der gesellschaftlichen Debatte, wir machen als Kirche keinen closed Job.

Welche Bedeutung haben da moderne Kommunikationsformen?

Höcker: Ich nehme soziale Netzwerke natürlich wahr. Wir müssen uns fragen, was bedeutet das für uns als Kirche, was machen wir damit, wie gehen wir damit um? Wie reagieren wir in der Seelsorge auf Herausforderungen, die auf uns zukommen? Wir brauchen dazu eine Einstellung, ein Kirchenbild und insgesamt eine Vision für die Kirche 2020, 2030. Es gibt immer Milieus, mit denen wir Probleme haben, sie zu erreichen. Das WEB 2.0 ist so ein Milieu.

Was ist Ihnen dabei wichtig?

Höcker: Wir müssen Alternativen entwickeln und unsere Konturen schärfen. Die Frage ist doch: Entweder gestalten wir oder wir werden gestaltet. Und ich bin immer ein Freund des Gestaltens.