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Die Notaufnahme „Spatzennest“ braucht Unterstützung. Die Weihnachts-Aktion der NRZ startet pünktlich zum 1. Advent.

Aus der Mitte des Tisches kriecht die Furcht auf Max zu. Die Süßigkeiten dort in der Schale sind dem Fünfjährigen ein Horror. Er hasst, was Gleichaltrige lieben, denn selbst Gummibärchen können ihm weh tun. Meint er. Und horcht in sich hinein: Bitte nicht jetzt, nicht in der Runde vor all den anderen Kindern und den Betreuern in der Notaufnahme.

Doch er kann nicht anders und schreit plötzlich auf aus lauter Angst vor dem Schmerz, der in seinem früheren Leben immer und unausweichlich auf etwas verdammt Süßes folgte. Vielleicht seitdem Max denken kann.

Was den Kleinen widerfahren ist, weiß niemand

Er wurde misshandelt, geschlagen, vermutlich auch sexuell missbraucht. Genauso wie das kleine Mädchen, das den Anblick einer weißen Toilettenbrille einfach nicht erträgt. Warum nur? Was genau den Kleinen widerfahren ist, weiß selbst Martina Heuer nicht: „Wir bekommen zwar die Kinder, doch ihre Geschichte kennen wir oft nicht“, sagt die Leiterin des „Spatzennests“, der Zuflucht für den Nachwuchs in akuter Not im Norden.

Elf von 19 noch im Kindergartenalter

Je jünger das Kind, desto schwieriger ist die Diagnose. Und besonders junge haben sie zurzeit besonders viele an der II. Schichtstraße in Altenessen. Vier Monate zart war das kleinste Opfer unter den 70 Kindern, die sie in diesem Jahr aufnehmen konnten. 110 – das ist der neue traurige Rekord – mussten aus Platzgründen abgelehnt werden, und elf der aktuell 19 Bewohner des „Spatzennestes“ sind noch im Kindergartenalter.

Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben werden sie in wenigen Wochen ein Fest ohne Frust, einen Heiligabend ohne Heulen, mit Freude statt Furcht und mit Präsenten erleben, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, den kleinen Bewohnern der Notaufnahme schenken können.

Schon die Kleinsten sind superstolz

Nicht nur Martina Heuer ist noch heute begeistert von der Spendenbereitschaft im vergangenen Jahr. Über 200 liebevoll verpackte Geschenke kamen an. Außerdem wurden im Rahmen der Weihnachtsaktion fast 15.000 Euro auf das „Spatzennest“-Konto überwiesen. Ob Polizeichor oder Unternehmen – die NRZ-Aktion findet immer Unterstützer. Und das Geld der NRZ-Leser bescherte den Kindern neue Möbel, vom Esstisch bis zum Hochstuhl, eine „sehr schöne“ Sommer-Ferienfreizeit in der Eifel, und in manchem Geschenk fand sich sogar ein neues Selbstwertgefühl.

Denn schon die Kleinsten sind superstolz, wenn sie mal etwas Neues zum Anziehen haben. Doch genauso freuen können sie sich über eine Karte zum Fest, die ihnen zeigt, dass da jemand an sie denkt, während ihre leiblichen Eltern sich gar nicht mehr für sie zu interessieren scheinen.

Fälle werden immer schwieriger

Es ist ein trauriger Trend, der sich da draußen vollzieht. Die Frauen folgen den Männern: Immer jüngere Mütter, oft erst 17 oder 18, vernachlässigen oder misshandeln ihre Kinder, weil sie überfordert, abgestumpft, drogen- oder alkoholsüchtig, unfähig zu Gefühlen zum eigenen Kind sind. „Es hat sich eine ganz erschreckende Beziehungslosigkeit der Mütter entwickelt, die sich oft selbst nicht mehr spüren“, hat Martina Heuer festgestellt.

Nach der Unterbringung eines Kindes sind sie „oft Wochen und Monate nicht erreichbar“ – in 25 Jahren Spatzennest „haben wir das so noch nicht erlebt“. Und die Fälle werden schwieriger: Nach den Wunden, die schon die Allerjüngsten an Seele und Körper erleiden, bleiben Schäden, deren Folgen im Verhalten des Kindes auch Pflegefamilien kaum noch zuzumuten sind, sagt Martina Heuer.

Den Kindern frühstmöglich helfen

Mit der Konsequenz, dass eine professionelle Einrichtung wie das Spatzennest zur vorerst letzten Zuflucht für die Kleinen wird – inzwischen mit einem kleinen heilpädagogischen Kindergarten, finanziert aus Stiftungsmitteln und unabdingbar, um Entwicklung trotz allem fördern zu können. „Wir wollen, dass den Kindern möglichst früh geholfen wird.“

Die Intensität der Betreuung, sie hat zugenommen im „Spatzennest“ seit dem vermehrten Zuzug der Kleinsten. Sie wollen getragen und gewickelt werden, leiden unter Schlafproblemen, und stellen die Mitarbeiter vor besondere Herausforderungen. Eine wahre Sisyphusarbeit sei es, sagt Martina Heuer, herauszufinden, bei welchem Arzt das Kind war, welche Vorsorgen, welche Impfungen es hat oder auch nicht.

Mülleimer durchsuchen

Um regelmäßige Untersuchungen, so die Erfahrung, kümmern sich die Mütter nicht, die noch nicht einmal die Grundversorgung ihrer Sprösslinge bewerkstelligen können. „Verwahrlosung in allen Formen und Variationen“ sind Martina Heuer untergekommen. Und immer wieder Kinder, die mit einer ausgeprägten Hamster-Mentalität im Spatzennest landen: Obwohl dort ständig eine Schale mit frischem Obst auf dem Tisch steht, durchsucht so mancher Zwerg den Mülleimer nach etwas Essbarem – weil er es nicht anders kennt. Andere Kinder klauen aus dem Vorratsraum, was sie kriegen können und verstecken es in ihren Zimmern. „Das haben wir schon bei Dreijährigen erlebt“, sagt Heuer, und das heißt nur eins: Einem Erwachsenen will das Kind einfach nicht mehr vertrauen.

Nicht wahr, Max?